Frankfurt/Main. Lohnrunden reichen der IG Metall nicht mehr. Die Gewerkschaft will für Millionen Beschäftigte die Chance auf eine Vier-Tage-Woche.

Die Forderung ist Teil nahezu jeder Stellenausschreibung: Arbeitgeber verlangen von ihren Mitarbeitern, auch mal länger zu arbeiten, wenn mehr zu tun ist. Die mächtige Gewerkschaft IG Metall will nun die Rollen tauschen: Unternehmen sollen ihre Mitarbeiter kürzertreten lassen, wenn daheim mehr zu tun ist. Mit ihrer Forderung nach der Vier-Tage-Woche zeichnet sich für die anstehende Tarifrunde ein Großkonflikt um die Arbeitszeiten ab.

Konkret fordert die Gewerkschaft für die 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie die Möglichkeit, von 35 auf 28 Stunden pro Woche reduzieren zu können. Die IG Metall will die verkürzte Arbeitszeit für die Dauer von zwei Jahren durchsetzen, verbunden mit dem Recht, anschließend wieder in Vollzeit zurückzukehren.

Ausfall für die unterste Lohngruppe soll zur Hälfte ausgeglichen werden

 Ein Gewerkschaftsmitglied der IG-Metall in Kiel (Schleswig-Holstein).
Ein Gewerkschaftsmitglied der IG-Metall in Kiel (Schleswig-Holstein). © dpa | Carsten Rehder

Profitieren sollen vor allem Beschäftigte, die sich um ihre jüngeren Kinder (bis 14 Jahre) oder pflegebedürftige Angehörige kümmern. Für sie soll es einen Lohnausgleich geben, der bei einer Vier-Tage-Woche den Ausfall für die unterste Lohngruppe zur Hälfte ausgleicht. „Zeit wird für die Beschäftigten immer wertvoller“, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann am Freitag in Frankfurt/Main die Forderung.

Mit reinen Lohnrunden – in dieser Tarifrunde fordert die Gewerkschaft sechs Prozent mehr – gibt sich die IG Metall immer seltener zufrieden. Deutschlands mächtigste Gewerkschaft macht seit Jahren Lohnpolitik in ihren Tarifrunden, sie hat Altersteilzeit-Modelle durchgesetzt, nachdem der Gesetzgeber das Recht darauf abgeschafft hatte. Sie hat Sonderkonditionen für Leiharbeiter ausgehandelt, bevor die Bundesregierung ihr Gesetz dazu verabschiedete, und sie hat eine Übernahmepflicht für Auszubildende durchgesetzt – und sie hat damit auch Vorbildcharakter für andere Gewerkschaften.

IG-Metall warnt vor Signalwirkung

In diesem Jahr will die IG Metall die Arbeitszeit an die persönlichen Lebensumstände anpassen – ein ambitioniertes Anliegen, an dem die Politik bisher gescheitert ist. Vor allem das Rückkehrrecht auf Vollzeit ist umstritten. Die scheidende Bundesregierung wollte dieses Recht für alle Beschäftigten schaffen, das Vorhaben der SPD ist aber am Widerstand der Union gescheitert.

Dass dies eine Tarifrunde der härteren Art werden dürfte, lassen die vorab ausgetauschten Begrifflichkeiten erahnen. Einen „Paradigmenwechsel“ kündigte IG-Metall-Chef Hofmann an. Dieser wolle die „Büchse der Pandora“ öffnen, warnte Metall-Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Beide wissen: Wenn die IG Metall das Recht auf Arbeitszeitverkürzung und Rückkehr in Vollzeit für 3,9 Millionen Beschäftigte in Deutschland durchsetzt, hat das Signalcharakter für andere Branchen oder weckt zumindest Begehrlichkeiten in allen Wirtschaftszweigen. Besonders dann, wenn die mögliche schwarz-gelb-grüne Koalition das Rückehrrecht zu den Akten legt.

IG-Metall-Chef sieht Arbeitgeber in Bringschuld

Die erste Verhandlungsrunde ist am 15. November, bis Jahresende herrscht Friedenspflicht. Die Arbeitgeber dürften bei einem Kompromiss zur Arbeitszeit auf Zurückhaltung beim Lohnplus dringen. Auch werden sie verlangen, dass die Gewährung freiwillig bleibt. Falls ihnen das nicht gelingt, dürften Ausnahmen gefordert werden für Betriebe, die dadurch überfordert sein könnten.

IG-Metall-Chef Hofmann sieht die Arbeitgeber aber in der Bringschuld: „Die Beschäftigten haben seit Jahrzehnten ihre Flexibilität und Bereitschaft zu Überstunden bewiesen. Jetzt ist es an den Arbeitgebern, Flexibilität nach unten zu zeigen.“