Berlin. Bei jedem dritten Gebrauchtwagen ist der Kilometerzähler manipuliert. Versicherer fordern eine öffentliche Datenbank zum Abgleich.

Die Handynummer von sogenannten Tachojustierern findet man leicht in Kleinanzeigen. Dann geht alles ganz einfach: Man trifft sich irgendwo am Straßenrand; ein Computer wird an das Servicekabel des Autos geklemmt, man nennt dem „Justierer“ eine Wunschkilometerzahl – und schon bald erscheinen auf dem Tacho 60.000 anstatt 160.000 Kilometer Laufleistung.

Wer noch mehr Eindruck von Neuwertigkeit vermitteln will, wechselt die abgetretenen Pedale aus uns vielleicht noch den Lenkradkranz. Und schon kann das Auto für viele Tausend Euro mehr verkauft werden. Der Dumme ist am Ende der arglose Gebrauchtwagenkäufer. Ihm wird der Schwindel zunächst gar nicht auffallen. Und falls doch, wird er den Betrug nur schwer nachweisen können.

Bei deutschen Herstellern hat das Thema keine Priorität

Bei jedem dritten Gebrauchtwagen in Deutschland ist laut Versicherern und ADAC der Tachostand manipuliert; und nur selten fällt das auf. Gesamtschaden jedes Jahr: rund sechs Milliarden Euro. In Nachbarländern wie Belgien oder Österreich hingegen kommt dieser Betrug kaum noch vor: Denn dort werden sämtliche Werkstatt- oder Tüv-Besuche inklusive der Tachostände in Datenbanken erfasst, die jeder abrufen kann.

Die EU-Kommission hat ihren Mitgliedsstaaten aufgetragen, eine Rechtsgrundlage für solche Datenbanken zu verfassen. Doch bei den deutschen Autoherstellern hat das Thema keine Priorität. „Wir beschäftigen uns schon seit 2014 mit dem Thema. Es läuft leider nur schleppend“, sagt Mechthild Heil, die Verbraucherschutzbeauftragte der Unionsfraktion im Bundestag unserer Redaktion. Sie will verhindern, dass vor allem Gebrauchtwagenkunden so häufig betrogen werden.

Ein manipuliertes Auto hat einen geringeren Wert

Mit Tachos wird eine Menge betrogen.
Mit Tachos wird eine Menge betrogen. © dpa | Sebastian Gollnow

Geschädigt fühlen sich auch die Versicherungen, wie Betrugsexperte Klaus Prochorow von der Signal Iduna in Dortmund sagt. „Ein manipuliertes Auto hat einen geringeren Wert, den wir im Schadenfall aber teuer bezahlen müssen. Außerdem gibt es immer mehr professionelle Banden, die Tachoveränderungen in Kombination mit fingierten Unfällen einsetzen“, sagt Prochorow. Bei der Tachomanipulation gebe es drei Tätergruppen: einmal den dubiosen Gebrauchtwagen-Händler. Er kauft Autos mit hoher Laufleistung billig ein; dreht am Tacho und verkauft hinterher mit großem Gewinn.

Dann gibt es den Privatmann, der seinen Wagen für mehr Geld verkaufen will und dazu den Zählerstand sinken lässt. Dies passiert nicht selten bei Privatleasing-Verträgen: Man vereinbart zum Beispiel 30.000 Kilometer in drei Jahren, fährt aber mehr und lässt am Ende der Laufzeit den Tacho auf die Zielzahl zurückschrauben.

Eine Bande hatte 2,9 Millionen Kilometer zurückgedreht

Und schließlich gibt es professionelle Banden, die den großen Unfallschadenbetrug mit Tachomanipulation auf die Spitze treiben. Methode: Sie kaufen Luxusautos mit sehr hoher Laufleistung günstig ein, fahren diese in fingierten Unfällen zu Schrott, drehen vorab den Tacho herunter und kassieren von der Versicherung am Ende den Preis, den die Limousine mit geringer Laufleistung gehabt hätte.

„So etwas finden wir immer häufiger“, sagt Klaus Prochorow. Erst kürzlich flog eine Bande auf, die gleich mehrere Autos um rund 2,9 Millionen Kilometer „erleichtert“ hatte, jede Menge Unfälle vortäuschte und schließlich Millionen kassierte. Darum wünschen sich auch die Versicherungen eine Datenbank, die sämtliche Tüv- oder Werkstattbesuche eines Fahrzeugs erfasst.

Hagelschäden an Autos vermehrt gemeldet

Schon jetzt liefert etwa das Dienstleistungsunternehmen Arvato Financial Solutions den Versicherern Daten aus Unfallberichten, von Gutachten oder Werkstattaufenthalten. Und zwar immer dann, wenn die Versicherungen bei einem Fall Zweifel hegen. Etwa, als vor wenigen Jahren vermehrt Hagelschäden an Autos gemeldet wurden. Bei den Werkstattberichten fiel plötzlich auf, dass die Autos „jünger“ wurden. Damals flog der Tachobetrug als Massenphänomen auf.

Thorsten Haag von Arvato sagt: „Wir wollen einen transparenten Gebrauchtwagenmarkt.“ Allein bei ihm laufen am Tag rund 50 Anrufe ein, die einen Tachoschummel ahnen lassen. Der Milliarden-Schaden für die Gebrauchtwagenkäufer in ganz Deutschland errechnet sich aus dem durchschnittlichen Preisunterschied von 3000 Euro, den die kleinere Tachozahl erbringt (bei 22 Millionen Fahrzeugen in Deutschland).

Online-Auskunft ab Mai 2018 geplant

Haag verweist auf die USA, wo jeder Käufer einen Gebrauchtwagenpass (Carfax) erhält, der die komplette Lebensgeschichte des Wagens erzählt. Getürkte Tachostände fallen da sofort auf. Die Autoindustrie verweist dagegen auf immer modernere Technik in Neuwagen, die Tachoschummel unmöglich machen soll. Doch das nütze den Millionen Gebrauchtwagenfahrern nicht viel, sagt Verbraucherschützerin Mechthild Heil.

Außerdem könnten Gangster jedes noch so kluge System schon bald knacken. Heil reicht es auch nicht, dass das Bundesverkehrsministerium ab Mai 2018 alle Kilometerstände bei Tüv-Prüfungen per Online-Auskunft öffentlich machen will. Nur eine lückenlose Datenbank mit allen Werkstattbesuchen könne den Tachoschwindel stoppen. Genau so sieht es auch die EU-Verordnung vor, die jedoch im Bundesverkehrsministerium und auch im Herstellerverband VDA kaum Beachtung findet.