Essen. Die beiden Konkurrenten Thyssen-Krupp und Tata fusionieren ihr Europageschäft. Der zweitgrößte Stahlkonzern entsteht an 34 Standorten.

Es ist einer der größten Einschnitte in der Unternehmensgeschichte von ThyssenKrupp. Der Traditionskonzern gliedert die Keimzelle des Unternehmens aus: sein Stahlgeschäft. Darauf hat sich der Vorstand in einer Grundsatzvereinbarung mit dem indischen Tata-Konzern geeinigt. Die europäischen Stahlsparten beider Konzerne sollen fusionieren und als Gemeinschaftsunternehmen je zur Hälfte von ThyssenKrupp und Tata getragen werden. Dadurch entstünde Europas zweitgrößter Stahlkonzern mit 48.000 Mitarbeitern an 34 Standorten in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden.

Einen tiefen Einschnitt würde die Fusion auch für die Stahlstadt Duisburg bedeuten – denn nicht sie, sondern Amsterdam ist als Sitz des Joint Ventures namens „ThyssenKrupp Tata Steel“ auserkoren. Aus Protest gegen diese Entscheidung und die Fusion als Ganzes gingen in Duisburg spontan Tausende Stahlkocher auf die Straße.

Konzentration auf Sparten mit Aufzügen und Automobilteilen

ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger verteidigte die Standortentscheidung. Die Fusion biete nicht nur den im Konzern verbleibenden Sparten die beste Perspektive, sondern auch den Stahlkochern, sagte er dieser Zeitung. Die Fusion verhindere noch schlimmere Einschnitte, ohne sie hätte sich die Stahlsparte in einer Abwärtsspirale „zu Tode restrukturiert“.

Laut Vereinbarung sollen von den 27.000 Stellen bei ThyssenKrupp Stahl und den 21.000 von Tata Steel Europe jeweils „bis zu 2000 Stellen“ abgebaut werden. „Aber wir sichern mehrere Zehntausend Arbeitsplätze langfristig“, betonte Hiesinger. Die Fusion soll bis Anfang 2018 unterschriftsreif sein, nach Prüfung durch die Kartellbehörden könnte sie Ende 2018 vollzogen werden. Durch die Abspaltung der konjunkturanfälligen Stahlsparte will sich der Konzern mehr auf seine Sparten mit Aufzügen, Automobilteilen, Industrieanlagen und Marine konzentrieren.

ThyssenKrupp-Chef strebt Konsens mit Arbeitnehmern an

Mit dem Stahl will der Konzern auch Pensionslasten von 3,6 Milliarden Euro ins Joint Venture ausgliedern. Das kommt anders als bei der IG Metall bei den Investoren gut an. Die Aktien von ThyssenKrupp legten am Mittwoch zeitweise um mehr als vier Prozent zu und waren klar die größten Gewinner im Dax. Hiesinger betonte, mit der Fusion werde „unsere Bilanz spürbar gestärkt“, vor allem die schwache Eigenkapitalquote würde steigen. Der ThyssenKrupp-Chef betonte, er strebe einen Konsens mit der Arbeitnehmerseite an. Diese fordert Zugeständnisse.

Da Tata in Großbritannien Standortgarantien bis 2021 gegeben habe, will die IG Metall in Deutschland Garantien für Arbeitsplätze, Anlagen und Standorte „bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein“, sagte Detlef Wetzel, früherer IG Metall-Chef und Aufsichtsratsvize von ThyssenKrupp Steel. Wetzel lehnt die Fusion weiter ab. „Wir reden hier immerhin über fast jeden zehnten Arbeitsplatz. Außerdem ist für uns nicht ersichtlich, wie viele Schulden ThyssenKrupp und Tata in das neue Unternehmen auslagern und ob es damit überhaupt marktfähig sein wird“, sagte er dieser Zeitung.

Aufsichtsrat spricht von Verrat am Land NRW

Scharf kritisierte Wetzel die Entscheidung gegen Duisburg als Unternehmenssitz. Wetzel warf der schwarz-gelben Landesregierung „Verrat an Nordrhein-Westfalen“ vor, weil „die Soziallasten durch den Personalabbau in NRW bleiben, während die Steuern in die Niederlande fließen“. Noch ist der Fusionsplan im Stadium einer rechtlich nicht bindenden Absichtserklärung, einem „Memorandum of Understanding“ (MoU).

Doch die Erklärung von ThyssenKrupp und Tata zur Fusion ihrer europäischen Stahlsparten ist schon jetzt ein historisches Dokument, welches den europäischen Stahlmarkt verändern wird. Das neue ThyssenKrupp Tata Steel wird nicht mehr zum Kerngeschäft des Dax-Riesen gehören. Zu einzelnen Werken steht nichts in der Vereinbarung – lediglich, dass ab dem Jahr 2020 das Produktionsnetzwerk zwecks Optimierung überprüft werde. Das bedeutet im Klartext, dass dann Schließungen einzelner Anlagen bis hin zu ganzen Werken Realität werden können.

Partner nennen Einsparpotenzial von 400 bis 600 Millionen Euro

Da Tata im niederländische IJmuiden das modernste Stahlwerk Europas betreibt, dürfte diese Frage zwischen britischen und deutschen Werken entschieden werden. Die IG Metall befürchtet, der Einfluss der britischen Regierung könne zulasten deutscher Standorte gehen. Das Gemeinschaftsunternehmen der Stahlfirmen soll zum Start mit jeweils 50 Prozent dem indischen Tata-Konzern und ThyssenKrupp gehören. Die Arbeitnehmerseite fordert vom Management Zusagen, dass der Essener Dax-Konzern diesen Anteil auch langfristig hält und sich nicht schrittweise aus dem Stahlgeschäft zurückzieht, etwa wenn es nicht so laufen sollte wie erhofft.

Als jährlich zu erzielendes Einsparpotenzial nennen die potenziellen Partner für die Anfangsjahre 400 bis 600 Millionen Euro. Damit gemeint sind Synergien in Verwaltung, Vertrieb, Logistik und Forschung. Langfristig soll ThyssenKrupp Tata noch mehr Geld sparen, indem ab 2020 unrentable Anlagen „überprüft“ werden. Auch das bedeutet bei negativem Prüfergebnis, dass sie geschlossen und Mitarbeiter entlassen werden.