Hamburg. Wer braucht Stifte in einer Zeit der Digitalisierung? Markenhersteller Edding verändert seine Produkte. Ein Besuch bei Per Ledermann.

Wenn Aktien Wetten auf die Zukunft sind, dann stehen dem Schreibwarenhersteller Edding goldene Zeiten bevor. Das Wertpapier liegt fast auf Rekordniveau, kostet derzeit 103 Euro. Ein Unternehmen, das mit dem Verkauf von Stiften in Zeiten der Digitalisierung reüssiert – wie passt das zusammen?

Der Galopp der Aktie in immer höhere Sphären lässt Vorstandschef Per Ledermann scheinbar unbeeindruckt. Vielmehr treibt den 41-Jährigen um, wie er das Unternehmen, 1960 von seinem Vater gegründet, in den nächsten Jahren sattelfest machen kann. Immerhin macht der Geschäftsbereich Schreiben und Markieren noch 70 Prozent des Umsatzes von derzeit 143 Millionen Euro aus.

Firmen und Schulen als Zielgruppen

Ledermann ist die Unauffälligkeit in Person. Weißes Hemd, dezente Baumwollhose, schwarzes Jackett, er fällt hier in der Firmenzentrale in Ahrensburg bei Hamburg nicht weiter auf. Zum Gespräch bittet er in einen Konferenzraum. Geradeaus blickt er auf ein Whiteboard seines Hauses, das unter dem Namen Legamaster verkauft wird.

Zielgruppe für das interaktive Präsentationsprodukt sind Firmen und Schulen. Immer wieder spricht der Unternehmer vom radikalen Wandel seiner Branche. Ledermanns Reaktion auf die Umwälzungen wirkt behutsam. Er ist keiner, der brachial Strategien umwirft, sondern – ganz der Familienunternehmer – in Dekaden denkt.

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    Eine seiner schärfsten Kritikerinnen ist die Tochter

    Dazu gehört auch, dass Ideen für neue Produkte reifen müssen – und nicht von heute auf morgen im Regal stehen können. Vor einem halben Jahr brachte Edding Nagellack, etwa die Richtung „Sexy Strawberry“, in den Handel. Die erste Idee dazu entstand im Unternehmen schon 2009, wurde aber zunächst verworfen. Vor zwei Jahren offerierte Edding Lacksprays dem Handel; während Baumärkte zunächst abwinkten, gierten Büroartikelläden danach.

    Mittlerweile erwirtschaften diese Produkte einen siebenstelligen Umsatz, und auch Obi & Co. haben zugegriffen. „Uns trauen die Menschen zu, Tinte oder Lack auf Oberflächen zu bringen“, sagt Ledermann. Der studierte Jurist und Betriebswirt lässt die Produkte in seiner Familie testen. Eine seiner schärfsten Kritikerinnen ist die älteste Tochter, eine von vier Kindern. Sie lackiert spaßhalber immer wieder ihr Fahrrad um.

    Ledermann blickt nach Afrika

    Weil sich aber der Markt für Büroartikel massiv verändert – immer mehr kleine Händler geben ihre Geschäfte auf – und der deutsche Markt ausgereizt ist, sucht Ledermann sein Glück im Ausland. Über 50 Prozent des Umsatzes werden bereits abseits der deutschen Grenzen erwirtschaftet. „Das internationale Wachstum ist erklärtes strategisches Ziel“, sagt der Vorstandschef, dessen Familie Mehrheitseigner von Edding ist.

    Ledermann selbst steht für ein internationales Leben. Er wohnte mit seiner Familie jeweils ein Jahr in den US-Städten Chicago und Phoenix. Auch den afrikanischen Kontinent kennt er gut, in Namibia haben seine Eltern eine Lodge zu einer Touristenherberge umgebaut. Internationales Wachstum ist das eine, das andere sind kreative Mitarbeiter, die den Erfolg des börsennotierten Familienunternehmens sichern sollen. Regelmäßig appelliert Ledermann an seine 640 Angestellten, alte Konzepte infrage zu stellen. Und seine Personalmitarbeiter suchen Quereinsteiger.

    Beiersdorf macht 47-mal so viel Umsatz wie Edding

    Ledermann erzählt in diesem Zusammenhang gern das Beispiel des ehemaligen Buchhändlers, der heute bei Edding in der Produktentwicklung arbeitet. Oder von der Frau, die als Sekretärin angefangen hat und es bis zum Vorstand geschafft hat. Vor Bewerbungen können sich die Ahrensburger kaum retten, „wir bewegen uns auf Augenhöhe mit anderen Markenherstellern in der Umgebung wie Beiersdorf und Unilever“, sagt Ledermann, obwohl er weiß: Allein Beiersdorf macht 47-mal so viel Umsatz wie Edding.

    Viele Mitarbeiter haben bei Edding das Rentenalter erreicht. Das Unternehmen ist im Umbruch. „Ich hoffe, dass die gegenseitige Hilfsbereitschaft erhalten bleibt, die uns stark gemacht hat“, sagt Ledermann. Ein langjähriger Mitarbeiter, der dem Unternehmen noch lange erhalten bleiben dürfte, ist er selbst. Mit 29 ist er Finanzvorstand des Unternehmens geworden, 2005 zum CEO aufgestiegen. Falls er irgendwann die Lust am Familienunternehmen verliert, gibt es schon mögliche Anwärterinnen: Die älteste Tochter hat schon mal Unternehmensluft geschnuppert, und Ledermanns Schwestern haben insgesamt fünf Kinder.