Essen. Ex-Arcandor-Manager inszeniert sich in seinem neuen Buch als Opfer der deutschen Justiz. Es heißt „A115“ – die Nummer seiner Zelle.

Bis vor wenigen Tagen hatte Thomas Middelhoff in seinem Whats­App-Profil weder ein Foto noch einen persönlichen Status hinterlegt. Jetzt lächelt ein offensichtlich wieder zu Kräften gekommener Freigänger aus seinem Profil, daneben steht „A115“. Es ist die Nummer jener Zelle, in die der frühere Starmanager nach der Verurteilung zu drei Jahren Haft gebracht wurde. Und der Titel seines Buches, das Middelhoff über seine Haft, seine Autoimmunerkrankung und die seiner Ansicht nach daran mitschuldige Justiz geschrieben hat. Morgen erscheint es.

Als „politisches Sachbuch“ wird es beworben, der Verlag Langen-Müller nennt es „autobiographischer Bericht“. Im Prolog versucht sich Middelhoff freilich als Literat. So oder so ist das Buch des wegen Untreue verurteilten Ex-Chefs der damaligen Karstadt-Mutter Arcandor eine 320-seitige Abrechnung. Mit dem Gericht. Mit der Essener Justizvollzugsanstalt. Und mit der sensationsgierigen Presse.

Schuldig wegen Untreue in 27 Fällen

Middelhoff, das Justizopfer. Dass es eher nicht um die Suche nach der eigenen Verantwortung geht, macht schon die Wahl der Zitate vor jedem Kapitel deutlich: Middelhoff bemüht Franz Kafkas „Prozess“, dessen Held Josef K. ohne Grund verhaftet wird, und der bis zuletzt nicht weiß, was ihm vorgeworfen wird. „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hatte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Dazu die Widmung des Buches jenen, „die an der Gerechtigkeit in Gerichtssälen zweifeln“.

Nun, Middelhoff weiß im Gegensatz zu Josef K. genau, was ihm vorgeworfen wird: „Eine Festschrift sowie einige Flüge soll ich Arcandor zu Unrecht in Rechnung gestellt haben“, schreibt er. Im Urteil liest sich das so: Schuldig wegen Untreue in 27 Fällen und in drei Fällen der Steuerhinterziehung.

Eindringlich beschreibt der 64-Jährige seinen Absturz. Vom fröhlichen letzten Frühstück auf dem Anwesen in Bielefeld im Kreise der Familie am 14. November 2014, dem Tag des Urteils und damit des erwarteten Freispruchs. Ob die Beschreibung der Stille im Haupthaus, der schemenhaft erkennbaren Stallungen und der Holztafel mit Parkblick den Leser wirklich auf seine Seite zieht? Am Ende des Tages wird seine Karriere beendet, sein Ruf zerstört sein. Und er wird in einer Zelle nicht schlafen können, weil alle 15 Minuten wegen angeblicher Suizidgefahr das Neonlicht angeschaltet wird.

Schlafentzug durch die nächtliche Kontrollen

Er arbeitet sich ab am aus seiner Sicht unwürdigen Umgang des Gerichts und später des Gefängnisses mit ihm, gibt ihnen Mitschuld am schweren Verlauf seiner Krankheit. Er habe erlebt, „wie unreflektiert und getrieben von Populismus, Neid und Schadenfreude Menschen verurteilt werden“.

Middelhoff gibt Richter Jörg Schmitt die Schuld an den Haftbedingungen, weil er auf Suizidgefahr bestanden habe – gegen seinen Protest und laut Middelhoff auch gegen die Diagnosen eines Gefängnisarztes und einer Psychologin. Der Schlafentzug durch die nächtlichen Kontrollen habe ihm die Kraft geraubt und an das US-Straflager Guantanamo erinnert.

Seine Krankheit und der Umgang damit bestimmen weite Teile des Buches. Willkür unterstellt er oft dem Personal im Knast. Aus seiner Zeit in Haft zieht Middelhoff auch Positives – wobei er sich in mildes Licht rückt. So erzählt er von Weihnachten, als er einen jungen Mann mit vielen Tattoos und wenigen Zähnen in der Christmette tröstete, dessen Frau die Scheidung forderte. Freude und Dankbarkeit nahm der junge Mann mit in die Zelle. Möchte Trostspender Middelhoff höchstselbst betonen.

Journalisten gab er auch mal Restauranttipps für den Urlaub

Vieles von dem, was er schreibt, ist nicht zu überprüfen. Oft nennt er keine Namen. Ob er wirklich der Märtyrer war, nackt unter der Dusche? Plötzlich seien mehrere kahlköpfige, bullige Häftlinge hereingekommen. Einer von ihnen habe Judenwitze erzählt und da sei er, der Christ, eingeschritten und habe sich diese Witze verbeten. Nur knapp sei er Prügeln und sexueller Gewalt entgangen, weil unverhofft ein JVA-Beamter ihn aus der Dusche geholt habe.

Seine Erzählungen aus der Gerichtsverhandlung entsprechen nicht in allen Punkten der Wahrnehmung des WAZ-Gerichtsreporters. So war er während des Prozesses nicht der sensationslüstern bedrängte Angeklagte. Im Gegenteil: Oft suchte er die Nähe der Journalisten, gab einem auch ungefragt Restauranttipps für den anstehenden Frankreichurlaub.

Am Ende „verzeiht“ Middelhoff

Und falsch ist sicherlich das wörtliche Zitat, das er Richter Jörg Schmitt, dem Vorsitzenden der XV. Essener Strafkammer, unterstellt: „Verurteile ich zu drei Jahren Haft.“ Natürlich sind es fünf Richter, die ihn verurteilen, und deshalb sagt der Richter nicht: „Ich verurteile.“ Aber auf diesen Richter schießt er sich ja im ganzen Buch ein.

Doch Thomas Middelhoff wäre nicht „Big T“, wenn er auf Seite 288 im Epilog nicht zu wahrer Größe angesichts des Richters Schmitt fähig wäre: „Ja, ich verzeihe ihm, denke ich. Trotz allem.“