Berlin. Unternehmen tüfteln an riesigen Fischfarmen mit Millionen Tieren. Doch mit der Größe wachsen die Probleme der Aquakultur.

Fieberhaft suchen Wissenschaftler und Unternehmen nach einem Hoffnungsträger, der nicht nur die Ernährung der Weltbevölkerung sichern, sondern gleichzeitig einen Milliardenmarkt retten soll: Die Tierproduktion unter Wasser, Aquakultur genannt, soll in Zukunft Milliarden Menschen mit lebenswichtigen Proteinen versorgen. Fischereiwirtschaft und Unternehmen aus der Ölindustrie haben gemeinsam riesige Meeresgehege entwickelt, die weit draußen auf den Ozeanen treiben und in denen jeweils Millionen Tiere heranwachsen können. Doch mit der Größe der Farmen wachsen zugleich die Probleme.

Ein kleiner Parasit stoppt Norwegens Lachszucht

Die norwegische Lachszucht plant die Verlagerung aus Fjorden und Buchten auf den offenen Atlantik aus ganz naheliegenden Gründen: Die Zuchtfirmen wollen ihr Milliardengeschäft vor der Lachslaus, einem Parasiten, schützen. Der kleine Krebs, der sich außen an den Lachs heftet, hatte in den letzten Jahren das Wachstum der Industrie gestoppt: Jeder fünfte Zuchtlachs in Norwegen stirbt vorzeitig, vor allem wegen der Lachslaus. Die Produktion der norwegischen Firmen, unter denen Marine Harvest, SalMar und Leroy Seafood die bekanntesten sind, hat seit 2012 stagniert. Platzmangel und Krankheiten behindern das Wachstum, obwohl die Preise auf ein Rekordniveau gestiegen sind. Fischzucht ist nach dem Öl Norwegens wichtigste Industriebranche.

Derzeit werden verschiedene Designs für Lachsfarmen im Ozean geprüft, sagten norwegische Behörden im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters. Bis November laufe der Prozess, „eine Handvoll“ Lösungen sei schon akzeptiert, weitere 40 werden noch geprüft. Oft stütze man sich dabei auf die Erfahrungen der Ölindustrie.

Fischfarm soll mehr als eine Million Lachse beherbergen

Ein SalMar-Tochterunternehmen etwa baut an einer Fischfarm im Atlantik, die Ende 2017 den Betrieb aufnehmen soll. Die „Ocean Farm 1“ ist eine runde schwimmende Konstruktion mit 110 Meter Durchmesser, die an eine Bohrplattform erinnert und groß genug ist, um über eine Million Lachse zu züchten. Sie wird in China gebaut und soll 75 Millionen Euro kosten. Nach Angaben von SalMar hat die Anlage eine Lebensdauer von 25 Jahren und verfügt über mehr als 20.000 Sensoren sowie über 100 Monitore und Steuergeräte.

Die „Ocean Farm 1“ ist eine 75 Millionen Euro teure Fischfarm, in der ,mehr als eine Million Lachse leben sollen.
Die „Ocean Farm 1“ ist eine 75 Millionen Euro teure Fischfarm, in der ,mehr als eine Million Lachse leben sollen. © imago/VCG | imago stock

„Ocean Farm 1“ dient zugleich als Pilotprojekt, um die biologischen als auch die technologischen Aspekte der Offshore-Fischzucht zu untersuchen. Beteiligt sind auch Forschungsinstitute in Norwegen und in China. Die Firma Marine Harvest arbeitet aber auch an einer eiförmigen Konstruktion, in der Lachse in gefiltertem Meereswasser schwimmen sollen, damit die Lachslaus heraußen gehalten wird. Damit könnte das Schädlingsproblem auch in flachen Buchten gelöst werden.

Schon jetzt wird mehr Fisch aus Zuchtbetrieben gegessen als aus Wildfang, stellte die Welternährungsorganisation FAO kürzlich fest. Wie verlockend das Potenzial einer Ausweitung von Aquakulturen im Meer ist, zeigt eine Studie von Forschern um Rebecca Gentry von der University of California in Santa Barbara. Sie rechneten aus, dass Fische auf mehr als 11 Millionen Quadratkilometern gehalten werden könnten, zudem Muscheln auf 1,5 Millionen Quadratkilometern, schreiben sie im Fachblatt „Nature Ecology & Evolution“. So könne man 100 Mal mehr Meeresnahrung produzieren, als derzeit weltweit konsumiert wird.

Bevölkerungswachstum erzeugt Druck

Denn die Notwendigkeit, eine Lösung zu finden, werde immer dringlicher: Bis zum Jahr 2050 könnte die Weltbevölkerung nach Prognosen auf zehn Milliarden Menschen anwachsen. Das erzeuge immensen Druck, die Nahrungsversorgung zu gewährleisten – zumal die Fangfischerei eine Kapazitätsgrenze erreicht habe und die Landwirtschaft gravierende Umweltprobleme mit sich bringe.

Bislang gibt es Aquakultur an Land oder in küstennahen Meeren. „Doch Probleme wie hoher Ressourcenverbrauch, Verschmutzung und Zerstörung von Lebensraum haben den Ruf von Aquakultur beschädigt“, attestieren die Autoren. Anlagen auf hoher See seien geeigneter, deren Potenzial sei aber nicht abgeschätzt worden.

Das taten die Forscher nun für zwei Arten von Systemen, in denen die Tiere entweder gefüttert werden müssen oder sich – wie Muscheln – Nahrung selbst aus dem Waser filtern. Dabei glichen sie Umweltfaktoren wie etwa Wassertemperaturen für sämtliche Längen- und Breitengrade der Erde mit den Ansprüchen von 120 Fisch- und 60 Muschelarten ab. Für diese Arten und das jeweilige Meeresareal berechneten die Forscher dann einen Wachstumsindex. Unpassende Regionen wurden ausgeklammert, etwa Gegenden von über 200 Metern Tiefe, in denen Fischfarmen kaum am Boden verankert werden könnten.

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    Weltweit könnten in den Farmen auf dem Meer pro Jahr 15 Milliarden Tonnen Fisch gezüchtet werden. Ausschließen solle man Gebiete, die empfindlich sind oder eine hohe Artenvielfalt haben, etwa Korallenriffe. Auch anders genutzte Areale, etwa für Ölförderung, seien ungeeignet.

    Viele der geeignetsten Gegenden liegen demnach in den Tropen, etwa bei Indonesien, Indien, Kenia und den Inselstaaten des Pazifik. Bislang würden nur wenige Länder marine Aquakulturen entwickeln, darunter Norwegen und China. Würde Indonesien nur ein Prozent seiner geeigneten Meeresfläche für Aquakulturen nutzen, könnte das Land pro Jahr 24 Millionen Tonnen Fisch daraus produzieren, so die Autoren. Die Menge aller durch Fangfischerei erbeuteten Fische könne man auf weniger als der Fläche des Lake Michigan kultivieren. So könne man auch das Ziel erreichen, mindestens 30 Prozent der Ozeane unter Schutz zu stellen.

    Reinhold Hanel, Leiter des Thünen-Instituts für Fischereiökologie in Hamburg, bewertet die Resultate skeptisch. Tatsächlich gebe es Bewegung in der Fischzucht. Zunehmend entstünden Anlagen für Fische, Muscheln und Algen im Meer. Doch dort seien die Bedingungen schwer kontrollierbar. Wie in Norwegen habe auch die Lachszucht in Chile mit Krankheiten zu kämpfen. „Die Produktion von großen Mengen Fisch auf kleiner Fläche ist in der Praxis schwierig“, sagt Hanel. „Das ist riskant, man kann über Nacht die gesamte Produktion verlieren.“

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