Essen. Der neue Vorstandschef des Chemiekonzerns Evonik, Christian Kullmann, spricht über Dax-Ambitionen und die betriebliche Mitbestimmung.

Christian Kullmann (48) war Konzernsprecher des Evonik-Vorgängers RAG, seit zwei Monaten ist er Vorstandschef. Manchmal sei er selbst über diese Entwicklung überrascht, sagt er. Ein Interview über Dax-Ambitionen, die deutsche Mitbestimmung und Borussia Dortmund.

Herr Kullmann, waren Sie eigentlich in der Schule gut in Chemie?

Christian Kullmann: Nein, die Noten waren eher befriedigend. Ich habe mich durchgekämpft.

Aber Sie sind doch Chef des zweitgrößten deutschen Chemiekonzerns.

Kullmann: Heute habe ich exzellente Mitarbeiter, die enormes Fachwissen mitbringen. Die Führung richtet sich eher nach strategischen Gesichtspunkten. Und in der Zwischenzeit habe ich einiges dazugelernt.

Sie waren Konzernsprecher des Evonik-Vorgängers RAG, jetzt sind Sie Vorstandschef. Sind Sie manchmal selbst über diese Entwicklung überrascht?

Kullmann: Ja. Als ich als Assistent des damaligen RAG-Chefs Werner Müller begonnen hatte, ging ich davon aus, meine Tätigkeit im Konzern sei an seine Amtszeit geknüpft. Doch dann wurde eine längere Geschichte daraus.

Was möchten Sie anders machen als Klaus Engel, Ihr Vorgänger an der Konzernspitze?

Kullmann: Herr Engel hat Evonik erfolgreich geführt. Jeder Vorstand hat die Aufgabe, das Unternehmen nach vorn zu bringen. Mein Credo ist: Ich möchte klar sein in den Ankündigungen, konsequent im Handeln und kooperativ im Umgang mit den Beschäftigten. Generell wünsche ich mir eine Unternehmenskultur, die Entscheidungsfreude belohnt. Die Tat zählt.

Das 2014 ausgegebene Ziel, den Umsatz bis 2018 auf 18 Milliarden Euro zu steigern, haben Sie gekippt. Warum?

Kullmann: Evonik geht es gut. Wir sind erfolgreich, und wir werden noch erfolgreicher werden. Doch ein hoher Umsatz allein ist kein Selbstzweck. Wir haben uns vorgenommen, die Marge beim Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen dauerhaft zu steigern, von zuletzt 17 Prozent auf ein Niveau von 18 bis 20 Prozent.

Beim Börsengang vor vier Jahren ist die Evonik-Aktie mit 33 Euro gestartet. Jetzt liegt der Kurs rund vier Euro niedriger. Bedrückt Sie das?

Kullmann: Zufrieden sind wir damit nicht. Die Aktie hat noch viel Potenzial.

Firmenübernahmen in den USA prägen derzeit das Bild von Evonik. Planen Sie weitere Zukäufe?

Kullmann: Dort, wo wir heute schon stark sind, wollen wir unsere Positionen gezielt ausbauen – auch durch Zukäufe. Dabei werden wir ohne Hast vorgehen. Was zählt, ist der lange Blick.

Gemessen am Börsenwert hätte Evonik das Format für den Deutschen Aktienindex (Dax). Würde der Großaktionär RAG-Stiftung Anteile verkaufen und für eine breite Streuung der Aktien sorgen, könnte Evonik in den Dax aufsteigen. Bedauern Sie es, dass Stiftungschef Werner Müller Ihnen den Dax-Ritterschlag verwehrt?

Kullmann: Ein Aufstieg in den Dax wäre für mich kein Ritterschlag. Ich möchte Evonik zum besten Unternehmen in der Spezialchemie machen. Und wenn wir Erfolg haben, dann steigt auch der Kurs unserer Aktie. Die RAG-Stiftung hält rund 68 Prozent und entscheidet darüber, ob und wann sie ihre Aktien verkauft.

Neben der Stiftung hat Evonik auch internationale Investoren. Ist es schwierig, diesen Investoren die Rolle der deutschen Mitbestimmung zu erklären? Selbst der Verband der deutschen Chemie-Arbeitgeber BAVC scheint sich schwerzutun, wenn es um die Mitsprache von Betriebsräten und Gewerkschaften geht.

Kullmann: Ich habe mit großer Verwunderung vernommen, dass der BAVC die Mitbestimmung als Investitionshemmnis und Nachteil für den Standort Deutschland dargestellt hat. Diese Einschätzung ist haarsträubend falsch! Die Sozialpartnerschaft ist ein Garant für Stabilität, was gerade in der Chemieindustrie ein hoher Wert ist.

Als Anteilseigner und Hauptsponsor mischt Evonik bei Borussia Dortmund entscheidend mit. Bräuchte der Verein mehr Geld, um international mithalten zu können?

Kullmann: Im Vergleich zu europäischen Spitzenteams hat der BVB ein deutlich kleineres Budget. Trotzdem ist der Verein erfolgreich, seit Hans-Joachim Watzke ihn führt. Das ist beeindruckend.

Was erwarten Sie vom neuen Trainer Peter Bosz?

Kullmann: Ich erwarte, dass wir uns in der kommenden Saison direkt für die Champions League qualifizieren.

Einer Ihrer Vorfahren ist Mitbegründer von Schalke 04. Wie kommt Ihre Familie damit klar, dass Sie beim BVB im Aufsichtsrat sitzen?

Kullmann: Sagen wir mal so: Bei unseren Familienfeiern wird es nie langweilig.