Frankfurt/Main. Ein Spediteursverband geht gegen Lastwagen-Hersteller vor: Die Schadenersatzforderung könnte bis zu eine Milliarde Euro erreichen.

Sie geben es zu: Fünf führende europäische Lastwagenbauer haben ein Kartell gebildet. Angeblich haben sie aber von den Kunden nicht höhere Preise gefordert. Vielleicht hofften sie darauf, dass die vielen kleinen Fuhrleute ihr Recht nicht einklagen würden, schon der Kosten wegen. Aber der Spediteurverband BGL hat eine Sammelklage angeregt. Etwa 1000 Speditionen mit rund 40.000 in der Kartellzeit gekauften Lastwagen sind schon dabei. Die Initiative will bis Ende des Jahres allein in Deutschland 100.000 Lkw in die Kartellklage einbezogen wissen, europaweit noch mehr. Dann könnte sich der geforderte Schadenersatz auf gut eine Milliarde Euro belaufen.

Hubertus Kobernuß lässt 70 Lastwagen in seiner Spedition laufen. Transport und Lagerung von Lebensmitteln sind die Spezialität des Unternehmers aus dem niedersächsischen Uelzen. Gegen das Kartell der Lkw-Hersteller allein anzutreten, das will er nicht, obwohl er in den 14 Jahren Lkw-Kartell viele Lastwagen gekauft hatte. Mit „mehreren Hundert Lkw“ hat er sich an der Sammelklage beteiligt. Dadurch sei der Streitwert schon „immens hoch“, sagte Kobernuß in Frankfurt/Main. „Und das vorzufinanzieren, schmälert so’n bisschen die Liquidität.“ Die setze er lieber für andere Dinge ein.

Gutachter kosten eine sechsstellige Summe

Viele in der Branche fahren mit einer Umsatzrendite von knapp einem Prozent. Vielfach reicht das Geld nicht, um sich sein Recht auf Schadenersatz zu erstreiten. Denn es gilt, den Nachteil durch das Kartell nachzuweisen. Gutachter, die das gerichtsfest können, kosten schnell sechsstellige Summen. Dazu die Gerichts- und Anwaltskosten auch des Gegners, für den Fall, dass die Klage erfolglos ist – da schrecken Fuhrunternehmer schnell zurück.

Der BGL hat deshalb eine Art ­Sammelklage angeregt. Eine Einzelklage durchzusetzen, lohne sich nur für den, der 2000 Lkw unter dem Kartellregime gekauft habe. Sonst sei die Sammelklage günstiger, hieß es beim BGL. Wer ­teilnimmt, wird auf rund ein Drittel seiner Entschädigung verzichten müssen – hat dafür aber auch keine Kosten und Risiken. Ein Prozessfinanzierer übernimmt beides. Und Sven Bode, mit seiner Financialright Claims einer der Pioniere der IT-gesteuerten Rechtsdurchsetzung in Europa, organisiert die Klage: „Wir nehmen diese abgetretenen Ansprüche, verpacken sie in eine Klage gegen die Kartellanten.“ Der einzelne Fuhrparkbetreiber sei gar nicht mehr involviert. Bode hat auch Flightright mitbegründet, das als Marktführer bei der Durchsetzung von Fluggastrechten gilt. Mit Financialright ist er auch daran beteiligt, den Besitzern von mehr als 30.000 Dieselautos aus dem VW-Konzern zu einem Schadenersatz zu verhelfen.

Hersteller sollen Brutto- und Nettopreise abgesprochen haben

Wie beim Dieselskandal ist auch bei der Sammelklage gegen die Lkw-Hersteller die US-Kanzlei Hausfeld mit im Boot. Hausfeld-Anwalt Alex Petrasincu lässt die Haltung der fünf Lkw-Hersteller Daimler, Volvo/Renault, DAF, Iveco und MAN nicht gelten, man habe zwar ein Kartell organisiert, streite aber Preisnachteile für die Kundschaft ab: „Ein Kartell ist kein reiner Sozialclub“, sagte Petrasincu. Die Risiken hoher Bußen seien zu groß, um sich nur „aus reiner Geselligkeit“ auf ein Bier zu treffen.

Der Anwalt glaubt nachweisen zu können, dass die Hersteller neben den Brutto- auch die Nettopreise – nach Rabatt also – abgesprochen haben. Sie hätten sich zudem darauf verständigt, neue Abgasnormen nicht früher als gesetzlich vorgeschrieben einzuführen. „Dann, glaube ich, kann man schon mit zehn Prozent des Kaufpreises, der gezahlten Leasingraten rechnen“, sagte Petrasincu, und zwar „wirklich konservativ“ gerechnet: „Alles andere würde uns doch sehr überraschen.“

Auf Basis dieser Angabe belaufen sich die Schadenersatzforderungen bei bisher gemeldeten 40.000 Lkw zu je 100.000 Euro auf mindestens 400 Millionen Euro. Bei 100.000 Lkw käme man auf einen Wert von gut einer Milliarde Euro. Die kämen zum Bußgeld von 2,9 Milliarden Euro hinzu, das die EU verhängt hat.