Wolnowacha. Im Donbass geht die modernste ukrainische Biogasanlage in Betrieb – entworfen von einem risikofreudigen Ingenieur aus Deutschland.

Vom Krieg, der um die Ecke lauert, ist gerade nicht viel zu spüren. Der Platz ist noch ungeteert, vor frisch gezimmerten Holzhütten sitzen Kettenhunde, die über das Gelände wachen. Das Wichtigste: Die Anlage arbeitet. Eine deftig riechende Masse drängt auf die Stahlquirle im Aufnahmebunker zu, Lars Klinkmüller trägt breite Arbeitsschuhe, schwarze Cordhose und schwarze Kunststoffjacke – Klamotten wie ein örtlicher Monteur. Aber Klinkmüller, Chef des Berliner Ingenieurbüros CarboCycle, hat das ganze Projekt geplant. Eigentlich sollte es eine gründlich kalkulierte Millioneninvestition in der Ukraine werden. Aber dann kam der Krieg, der Standort Wolnowacha wurde Frontgebiet und die Millioneninvestition zur Tollkühnheit. „Krieg oder nicht“, sagt Klinkmüller, 56, ungerührt, „die Anlage ist in diesen Breiten auf jeden Fall Pionierarbeit“.

Als die ersten Fundamente stehen, bricht der Krieg aus

Der Betrieb läuft also endlich, täglich wandern 40 Tonnen Kuhmist, 65 Tonnen Mais- und Sorghumsilage, eine Tonne Futterreste, Getreidestaub sowie Sonnenblumenschalen in das Doppelherz der Anlage, zwei zinnobergrüne Gärbehälter. Dort vergären Mikroben die organische Masse zu Ökodünger, aber vor allem zu Biogas. Der Generator des unscheinbaren Blockkraftwerks daneben macht elektrischen Strom daraus. Ende Juni soll der erste Strom in die städtischen Kabel fließen. Die Anlage kann 3500 Haushalte mit Elektrizität versorgen, immerhin halb Wolnowacha.

Die Offene Aktiengesellschaft Ecoprod ist der größte Agrarbetrieb im Kreis Wolnowacha mit 22.000 Hektar Ackerfläche und 6000 Milchkühen. „Biogas ist ja eigentlich nicht unsere Präferenz“, sagt Generaldirektor Iwan Melnik, ein grauhaariger, bäuerlich wortkarger und kräftiger Mann. 2008 begann ihn schließlich doch die Technik zu interessieren, Kuhmist und Heu in elektrischen Strom zu verwandeln. Damals führte der ukrainische Staat „grüne Tarife“ für Bioenergie ein. Er garantierte den Produzenten einen Preis von 13,2 Cent pro Kilowattstunde, etwas weniger als Deutschland bis 2014 zahlte. Biogas rechnete sich jetzt auch in Wolnowacha – und hilft damit der schwer angeschlagenen örtlichen Wirtschaft.

Liegenschaften gerieten unter Artilleriefeuer

Die Geschichte von Biogas im Kriegsgebiet fing eigentlich ganz normal an. Von vier deutschen Bewerbern bekam CarboCycle den Zuschlag für das Projekt – vor Ausbruch des Konflikts. Auch, weil Klinkmüller den Ostukrainern es in ihrer Alltagssprache erklärte: Russisch. Er hatte noch in Sowjetmoskau das Institut für Chemischen Maschinenbau absolviert. Man einigte sich auf den Bau einer Drei-Megawatt-Großanlage für 5,4 Millionen Euro. Nach langem Warten auf die staatliche Förderung gab es dann endlich grünes Licht für die Baustelle in Wolnowacha.

Und dann kam der Krieg. Die ersten Fundamente und Betonwände standen gerade, da brachen im April 2014 im Donbass blutige Unruhen aus. Im Morgengrauen des 22. Mai schossen prorussische Separatisten bei Wolnowacha ein Lager ukrainischer Truppen zusammen und töteten 16 Soldaten. Das Donbass wurde zum Schlachtfeld. Seitdem liegt Wolnowacha keine zehn Kilometer hinter der Front. Auch Ecoprod-Liegenschaften gerieten unter Artilleriefeuer, ein Wachmann kam um, zwei wurden verletzt.

Die Landwirtschaft ist zum Wirtschaftsmotor geworden

Zweieinhalb Jahre stand das Projekt still. „Wir haben richtig Geld verloren“, seufzt Bogdan Rogatschenko, stellvertretender Generaldirektor. Man beschloss, zunächst nur eine 1,5-Megawatt-Linie zu bauen.

Ukrainische Bauern sind hartnäckig. Millionen Bürger sichern ihr Überleben aus dem eigenen Vorgärten. Und trotz des Reformstaus unter dem amtierenden Staatschef Petro Poroschenko meldete die Agrarwirtschaft vergangenes Jahr mit 66 Millionen Tonnen Korn eine neue Rekordernte. Sie wuchs um 6,1 Prozent und macht jetzt zwölf Prozent der ukrainischen Wirtschaftsleistung aus. „Die Landwirtschaft ist die Wirtschaftslokomotive der Ukraine geworden.“ In Rogatschenkos Worten klingt Stolz mit. Auch, weil die Lage sich etwas beruhigt hat. Inzwischen wird die Front auch Waffenstillstandslinie genannt. Trotzdem hört Klinkmüller öfter Geschützdonner. Wolnowacha aber zieht es vor, die Reichweite der feindlichen Raketenwerfer zu ignorieren. Geschäfte und Cafés sind geöffnet, Frauen schieben Kinderwagen durch die niedrige, von Obstbäumen umstellte Backsteinarchitektur.

Westeuropäer reagieren gewöhnlich nicht so gelassen. Drei Zulieferfirmen aus Deutschland und Österreich hatten Bauteile vor Ort zu montieren. Aber nur eine schickte ihre Techniker. Eine zweite lehnte ganz ab, wegen Sicherheitsbedenken. Ecoprod-Bauarbeiter montierten selbst, die Lieferanten dirigierten sie per Skype. In der dritten Firma weigerten sich die angestellten Monteure zu kommen.

Das Land könnte unabhängig werden von russischem Gas

In der Ukraine hat Klinkmüller bisher zehn Biogasanlagen gezählt. Nur etwa ein Prozent der ukrainischen Energie kommt aus regenerativen Quellen. Aber das Potenzial ist riesig, sagt Klinkmüller, der sich trotz des Konfliktes gerne mit weitblickenden Szenarien beschäftigt. „5000 Drei-Megawatt-Anlagen wären 30 Milliarden Kubikmeter Biogas im Jahr“, rechnet er akribisch vor. „Dann bräuchte die Ukraine kein russisches Gas mehr.“ Sechs Millionen Hektar Ackerland wären dafür nötig. Vier bis acht Millionen Hektar lägen gleichzeitig brach. Sicher, der Bau koste an die 25 Milliarden Euro. „Aber wie viel bezahlt die Ukraine im Jahr für Gasimporte?“

Zigarettenpause auf der Plattform vor dem Bürogebäude. „In Wolnowacha weht immer Wind“, sagt Klinkmüller. „Hier sollten auch Windkraftanlagen stehen.“ Seine Firma hat Anfragen aus der Ukraine und Weißrussland, auch eine aus Kaluga bei Moskau. Allerdings interessieren sich die Russen kaum für alternative Energien.

Am Himmel über Wolnowacha schwimmen weiß leuchtende Wolkenberge Richtung Osten. Die Front schweigt. Russland, das dahinter liegt, scheint immer weiter weg zu sein. Auch, was Energie angeht.