Berlin. Weltraum-Start-ups greifen die Satellitenindustrie an. Sie kommen mit neuen Ideen und zehn Milliarden Dollar von privaten Investoren.

Wenige Minuten nach dem Start hat eine Rakete, die Satelliten ins All befördert, bereits 90 Prozent ihres Treibstoffs verbraucht. „Wir wollten das ändern, denn der Verbrauch ändert sich drastisch, wenn wir die Rakete erst am Rand der Atmosphäre starten“, sagt Mariano López-Urdiales.

Der Gründer des spanischen Weltraum-Start-ups Zero2infinity hat mit seinem Team einen mit Helium gefüllten Ballon entwickelt, der erst auf einer Höhe von 28 Kilometern den Raketenantrieb startet und nach weiteren Zündungen eine Höhe von etwa 600 Kilometern erreichen soll. Das „Bloostar“-System sei geeignet, rund 150 Kilo schwere Kleinsatelliten ins All zu befördern, sagt López-Urdiales.

Start-ups tüfteln an ultraleichten Billigsatelliten

Wer meint, das sei alles Science-Fiction, dem hält er Absichtserklärungen im Wert von 240 Millionen Euro von Kunden vor, die das System nutzen wollen. „Der kommerzielle Betrieb läuft schon, denn Kunden zahlen für jeden Teststart, den wir unternehmen.“ Ab 2018 will der Spanier Satelliten für rund vier Millionen Euro pro Start ins All befördern – ein Bruchteil der Kosten, die für Start und Beförderung kommerzieller Satelliten heute anfallen.

Der spanische Weltraumballon ist nur ein Beispiel für einen grundlegenden Wandel in der Satellitenindustrie. Im Silicon Valley und in Europa tüfteln Start-ups an ultraleichten Billigsatelliten und wiederverwendbaren Raketen. SpaceX, das Unternehmen des Tesla-Gründers Elon Musk, hat bereits demonstriert, dass die Landung der Unterstufe einer Rakete auf der Erde möglich ist. Nach Angaben des Unternehmens ließen sich die Startkosten durch wiederverwendbare Raketen von derzeit 60 auf sechs Millionen US-Dollar senken.

Industrie verdient gut am „Einwegprodukt“ Rakete

Die „New Space“-Branche treibt nicht nur den technologischen Wandel voran, sondern profitiert auch massiv: Geringere Transportkosten erlauben mehr Starts als je zuvor. Verluste fallen nicht mehr so stark ins Gewicht, wenn Satelliten weniger robust sein müssen und preisgünstiger werden. Ein Schlag ins Kontor für die Satellitenindustrie, die bislang am Ex-und-hopp-Prinzip prächtig verdiente.

Denn die künstlichen Raumflugkörper sind extrem teuer in Herstellung, Transport und Versicherung. Beim „Einwegprodukt“ Raketen stürzt die Unterstufe in den Ozean, die Oberstufe verglüht beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Das wirkt sich ebenso kostentreibend aus wie die aufwendige Konstruktion der Satelliten, die durch langwierige Tests und teure Komponenten so zuverlässig wie möglich gemacht werden.

Wegen der hohen Startkosten darf das Risiko eines Verlusts nur minimal sein: Wer mit der europäischen „Ariane 5“ einen größeren Satelliten ins All schießen will, muss knapp 140 Millionen US-Dollar berappen.

Google und Amazon mischen auch mit

Bei solchen Beträgen erstaunt es wenig, dass der Umsatz der weltweiten Satellitenindustrie seit Jahren ansteigt. Betrug er Zahlen der Satellite Industry Association (SIA) und der Tauri Group zufolge im Jahr 2011 rund 177 Milliarden US-Dollar, so lag er 2015 bereits bei 208 Milliarden US-Dollar. Rund 37 Prozent aller weltweit ins All geschossenen Satelliten dienen der SIA zufolge kommerziellen Zwecken.

Im Markt mischen zunehmend auch Tech-Größen wie Google und Amazon mit. Der Suchmaschinenkonzern kam durch den Kauf des Start-ups Skybox Imaging an hochauflösende Aufnahmen aus dem Weltall und kann die Bewirtschaftung von Feldern oder den Containerumschlag in Häfen erfassen.

Mit 3-D-Druck Satelliten direkt im Orbit herstellen

Für die Datenbeschaffung eignen sich auch die nur zehn Kilo schweren Nanosatelliten, die in Schwärmen operieren. Rund 1000 Start-ups arbeiten an neuen Produkten und Services rund um die Kommerzialisierung des Weltalls. Die Marktforscher von NewSpace Global schätzen, dass bereits zehn Milliarden US-Dollar privates Kapital in neue Geschäftsmodelle geflossen sind.

Darum buhlen US-Start-ups wie Made in Space, das mit 3-D-Druck Satelliten direkt im Orbit herstellen will, oder das deutsche Start-up eighty­LEO. Die Münchener wollen Satelliten ins All schießen, die von dort aus Maschinen in Fabriken steuern sollen. Getüftelt wird vor allem an Billigsatelliten, den sogenannten Cube-Sats.

Träume von Satellitenstarts zu Discountpreisen

In Kombination mit wiederverwendbaren Raketen träumen Enthusiasten schon vom Satellitenstart zu Discountpreisen. Doch auch die Marktführer schlafen nicht. Nach Boeing will auch Airbus einen elektrisch angetriebenen Satelliten ins All bringen. „Eutelsat 172B“, der neue Satellit des europäischen Betreibers Eutelsat, ist mit 3,5 Tonnen rund zwei Tonnen leichter als ein Hightechgerät mit klassischem Antrieb.

„Der Preis für Raketenstarts ist abhängig von der Masse des Satelliten“, sagt Lisa Martin Perez vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Der elektrische Antrieb benötigt weniger Treibstoff als ein chemischer Antrieb, dadurch ist das Gesamtsystem leichter als bei herkömmlich angetriebenen Satelliten.“

Weltall ist nicht mehr die Domäne der Staaten

So ließen sich durch elektrisch angetriebene Satelliten Kosten sparen. „Bei Satelliten gehört dem elektrischen Antrieb die Zukunft. Diese Form ist wegen der Treibstoffersparnis den chemischen Antrieben überlegen. Elektrische Antriebe beziehen die Energie über Solarpaneele im Orbit.“

Konzerne wie Airbus und „New Space“-Unternehmen sorgen gleichermaßen dafür, dass sich die Ära, in der das All eine Domäne von Staaten und von staatlich finanzierter Wissenschaft war, dem Ende zuneigt. „Die Möglichkeiten, ins All zu kommen, haben sich in den vergangenen fünf Jahren stärker verändert als in der gesamten Raumfahrtära zuvor“, heißt es in einem Report der Investmentbank Goldman Sachs.

„Der Weltraum hat für Unternehmen ein großes Potenzial, aber im Zugang zum All liegt der Engpass“, sagt jedoch Mariano López-Urdiales. „Wir schicken Vehikel ins All, die zu viele verschiedene Dinge gleichzeitig schaffen und zu viele Anforderungen erfüllen müssen. Das lässt wenig Raum für Innovationen.“

Weltraumballons sollen auch Passagiere transportieren

Auch der Erfolg seines in der Traglast limitierten Weltraumballons hängt von Innovationen – in seinem Fall von immer leichteren Satelliten – ab. Für die Zukunft kann sich der Spanier auch bemannte Flüge vorstellen. „Der Bloostar ist weniger gefährlich für Passagiere als ein Raketenflug. Da wir nur die Höhe der Stratosphäre erreichen, erwartet die Passagiere eine ähnliche Aussicht wie Felix Baumgartner bei seinem Sprung.“

Ein Problem kann López-Urdiales damit, wie auch bei den „Bloo­star“-Testflügen, vermeiden: Weltraumschrott findet sich nur in größeren Höhen. Dennoch wächst diese Gefahr mit jedem weiteren Minisatelliten im All. Ob die freiwilligen Verhaltensregeln der Raumfahrtagenturen Nasa und Esa, ausgediente Satelliten schnell verglühen zu lassen, dann noch ausreichen, ist offen.