Hamburg/London. Im wohl größten Steuerbetrug der Bundesrepublik soll der Staat 31,8 Milliarden Euro verloren haben. Die Strippenzieher saßen in London.

Die umstrittenen Cum-Ex- und Cum-Cum-Aktiengeschäfte sollen den deutschen Fiskus einem Bericht zufolge weitaus teurer zu stehen gekommen sein als bisher bekannt. Wie die „Zeit“, „Zeit Online“ und das NDR-Magazin „Panorama“ meldeten, seien dem Staat seit 2001 mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen.

Der Steuerbetrug soll vor allem von London aus organisiert worden sein. Nur ein knappes Dutzend Investmentbanker soll für den größten Teil des Schadens verantwortlich sein. Mehrere „Mitglieder der Bande“ würden derzeit umfassend bei der Kölner Staatsanwaltschaft aussagen. Ein Sprecher der Behörde wollte dies auf Anfrage nicht kommentieren und verwies auf das Steuergeheimnis.

Was wird den Bankern vorgeworfen?

Das mutmaßliche Netzwerk soll sich bei den Aktiengeschäften konspirativ abgesprochen haben, um vom deutschen Staat Steuern erstattet zu bekommen, die nie abgeführt wurden. Der Nachweis solcher Absprachen würde die Wahrscheinlichkeit späterer Verurteilungen drastisch erhöhen.

Wie funktionieren Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte?

Bei Cum-Cum-Geschäften hilft eine inländische Bank einem ausländischen Investor dabei, eine Steuerrückzahlung zu ergattern, auf die dieser keinen Anspruch hat. Der Gewinn wird aufgeteilt. Cum-Ex-Geschäfte – auch als „Dividendenstripping“ bezeichnet – sind damit verwandt, aber weitaus komplizierter.

Rund um den Tag der Hauptversammlung, bei der die Ausschüttung festgelegt wird, werden Wertpapiere hin- und hergeschoben. Dabei werden Bescheinigungen für Kapitalertragsteuern durch Banken ausgestellt, die beim Fiskus geltend gemacht wurden – obwohl eine Steuer nie anfiel.

Um welche Größenordnung ging es?

Nach weiteren Informationen von „Panorama“, „Zeit“ und „Zeit Online“ sollen Londoner Börsenmakler im Jahr 2011 laut Ermittlungsakten allein für zwei Cum-Ex-Fonds rund um den Dividendenstichtag mehr als eine Milliarde deutscher Dax-Aktien im Wert von 47 Milliarden Euro gehandelt haben. Zeitweise hätten ihnen sieben Prozent an Daimler, neun Prozent von Bayer und zwölf Prozent der Lufthansa gehört.

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    Seit 2001 seien dem Staat nach einer Berechnung der Universität Mannheim mindestens 24,6 Milliarden Euro durch Cum-Cum-Geschäfte entgangen. Durch Cum-Ex-Geschäfte soll zwischen 2005 und 2012, als diese Geschäfte unterbunden wurden, ein Schaden von mindestens 7,2 Milliarden Euro entstanden sein. „Der Schaden durch Cum-Ex-Geschäfte dürfte insgesamt noch höher liegen, da sie auch schon vor 2005 getätigt wurden“, sagte Finanzwissenschaftler Professor Christoph Spengel, der die Berechnungen durchgeführt hat.

    Zum Vergleich: Die Schadenssumme von 31,8 Milliarden Euro beträgt deutlich mehr, als die Bundesregierung im vergangenen Jahr für die Bewältigung der Flüchtlingskrise ausgegeben hat, und mehr als dreimal so viel, wie dem Bundesfamilienministerium als Etat zur Verfügung steht. Theoretisch hätte der Staat mit dem Geld eine 1200 Kilometer lange Autobahn oder 36 Elbphilharmonien bauen können. (dpa/cho)