Berlin. Niederlage für Finanzminister Schäuble, Triumph für Atomkonzerne: Der Bund muss sieben Milliarden Euro an Energiekonzerne zurückzahlen.

Für Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist es eine teure Blamage, für die Atomkonzerne ein seltener Triumph: Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch überraschend die Steuer auf den Verbrauch von Brennelementen in Atomkraftwerken für nichtig erklärt. Nun erhalten die drei Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW insgesamt 6,3 Milliarden Euro bereits gezahlter Steuern zurück – plus Zinsen. Die „Kernbrennstoffsteuer“ wurde von 2011 bis 2016 erhoben, ursprünglich, um Gewinne aus der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke abzuschöpfen.

Zu Steuerstreitigkeiten gibt es viele Gerichtsurteile, die Korrekturen vom Gesetzgeber verlangen. Eher ungewöhnlich ist aber, dass bereits erhobene Steuern rückerstattet werden müssen. Das Karlsruher Verfassungsgericht stellte in dem Urteil fest, dass die Bundesregierung von den „erheblichen finanzverfassungsrechtlichen Unsicherheiten“ gewusst habe.

Richter: Kernbrennstoffsteuer ist keine Verbrauchersteuer

Folglich ist das Urteil eine schwere juristische Klatsche für die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung, die das Gesetz 2010 auf den Weg brachte. Und damit auch für Finanzminister Schäuble und Angela Merkel (CDU) persönlich, die trotz vieler Bedenken entschieden hatte: „Es bleibt bei der Steuer.“

Warum ist die Abgabe verfassungswidrig? Aus Sicht des Gerichts verstößt die Besteuerung gegen das Grundgesetz, weil der Bund nur bestimmte Arten von Steuern allein erheben darf. Darunter fallen zwar Verbrauchssteuern. Und als solche wurde die Brennelementesteuer von Schäuble auch deklariert, um an das Geld der Atomkonzerne zu kommen. Diese Konstruktion ließen die Richter aber in sich zusammenfallen. Aus Sicht der Richter sei „die Kernbrennstoffsteuer keine Verbrauchsteuer“. Denn Verbrauchsteuern sollten „den privaten Endverbraucher belasten“.

Finanzministerium vom Urteil „überrascht und enttäuscht“

Das war aber bei der Atomsteuer nur indirekt der Fall. Stattdessen war es de facto eine Steuer auf die Stromproduktion. Eine solche Steuer darf der Bund aber nicht im Alleingang erheben. Ein Indiz für die Richter: Die Bundesregierung selbst rechnete vor der Einführung aus, wie hoch genau die Unternehmen durch die Steuer belastet würden.

Im Finanzministerium herrscht Entsetzen ob des Urteils. „Überrascht und enttäuscht“ sei man, so ein Sprecher von Schäuble. Die örtlichen Steuerbehörden sollen die Milliarden nun an die Konzerne zurücküberweisen. Einschließlich Zinsen geht es um rund sieben Milliarden Euro – und jeden Monat wächst die Summe um 0,5 Prozent Strafzins. Deshalb will das Finanzministerium die Schuld „so schnell wie möglich“ begleichen.

SPD wirft Schäuble handwerkliche Fehler vor

Schäuble, so die SPD, habe erhebliche „handwerkliche Fehler“ gemacht, wie der stellvertretende Fraktionschef Carsten Schneider nach dem Urteil sagte. Das Finanzministerium verteidigt sich indes gegen den Vorwurf. Sowohl der Bundesrechnungshof als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hätten die Steuer als zulässig bewertet.

Die Brennelement-Abgabe wurde eingeführt, nachdem 2010 die Laufzeiten der Kernkraftwerke von Schwarz-Gelb verlängert wurden. Sie blieb auch nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 bestehen, als die ältesten Meiler sofort vom Netz mussten und die Laufzeiten wieder deutlich verkürzt wurden. Das Verfassungsgericht befasste sich ab 2013 mit dem Fall. Die Klage des Essener Unternehmens Eon gegen die Steuer war vom Finanzgericht Hamburg nach Karlsruhe verwiesen worden.

Börsenkurse springen nach dem Urteil in die Höhe

Katzenjammer bei der Bundesregierung, Jubel bei den Energiekonzernen: Eon rechnet mit einem Geldsegen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro. RWE erwartet eine Rückerstattung von 1,7 und bei EnBW sind es gut 1,4 Milliarden Euro. Diese Aussicht trieb ihre Aktienkurse sofort in die Höhe. Während sich im Leitindex Dax sonst wenig tat, legten RWE bis zum Nachmittag um fast sechs und Eon um über fünf Prozent zu.

„Da der europäische Gerichtshof die Steuer nicht wesentlich beanstandet hat, war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ganz klar eine positive Überraschung. Deshalb hat der Markt auch so stark reagiert“, sagte Erkan Ayçiçek, Analyst der Landesbank Baden-Württemberg.

Staat muss Endlagerung von Atommüll übernehmen

Auch EnBW-Titel stiegen an. Der baden-württembergische Konzern ist aber weitgehend in der Hand von Land und Kommunen. Vattenfall, der schwedische Konzern mit Sitz in Berlin, ist hingegen außen vor: Die Anlagen in Krümmel und Brunsbüttel in der Nähe von Hamburg waren bei Einführung der Steuer schon außer Betrieb.

Für Eon, RWE und EnBW hätte das Urteil zu keinem besseren Zeitpunkt kommen könnten. Für gut 23 Milliarden Euro konnten sie sich vor einem Jahr von den langfristigen Risiken der Kernkraft freikaufen. Das Geld fließt in einen Fonds, der Staat muss dafür aber die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls übernehmen. Die tatsächlichen Kosten sind indes kaum absehbar und könnten auch deutlich höher liegen.

Eon will mit Rückzahlung Bilanzen stärken

Bei der Festlegung der Summe spielte eine große Rolle, dass insbesondere RWE und Eon angeschlagen sind. In den Verhandlungen wurde laut Insidern davon ausgegangen, dass die Atomsteuer nicht rückgängig gemacht wird, sonst wäre der Betrag höher ausgefallen. Doch für eine Korrektur ist es jetzt wohl zu spät, auch wenn SPD-Mann Carsten Schneider fordert, es brauche nun ein neues Gesetz, das vor den Gerichten standhalte, denn die Atomwirtschaft müsse „ihren finanziellen Beitrag“ leisten.

Was machen die Konzerne nun mit den unverhofften Milliarden? Sie sind hoch verschuldet. RWE musste zukunftsträchtige Geschäftsbereiche in einer neuen Firma (Innogy) bündeln und teils verkaufen. Eon spaltete die Kraftwerkssparte Uniper ab und brachte sie an die Börse. Trotzdem bleibt der Schuldenstand erheblich. Eon teilte dementsprechend mit, man werde die Rückzahlung verwenden, „um die Bilanz des Unternehmens zu stärken“. Analyst Ayçiçek sagte ebenfalls: „Priorität wird der Schuldenabbau haben.“