Washington. Tesla hat noch nie Gewinne gemacht und ist an der Börse mehr wert als Ford. In der US-Autoindustrie vollzieht sich ein rasanter Wandel.

In den USA lässt sich ein Drama beobachten, das auch deutschen Autoherstellern bald bevorstehen könnte: Es ist ein Schauspiel mit ungleichen Rollen – und mit sich dramatisch wandelnden Kräfteverhältnissen. Ein ökonomisches Erdbeben, das auch von Konzernlenkern in Europa mit Staunen und Schaudern beobachtet wird.

Da ist auf der einen Seite der Automobil-Goliath Ford. Mit fast 200.000 Mitarbeitern weltweit produziert der traditionsreiche Autokonzern nun schon seit mehr als hundert Jahren seine Karossen mit Verbrennungsmotoren. Auf der anderen Seite steht der Elektroauto-Zwerg Tesla, der erst 2003 gegründet wurde, nur 13.000 Mitarbeiter beschäftigt – und bisher keine schwarzen Zahlen vorweisen kann.

An der Börse ist Tesla sieben Milliarden Dollar schwerer als Ford

Ford verkauft fast 90 Mal mehr Autos als Tesla und schreibt im Gegensatz zu den Kaliforniern Gewinne. Aber Ford fehlt es an Visionen, die an der Wall Street überzeugen. Anders Tesla-Chef Elon Musk – der Liebling der Investoren. An der New Yorker Börse liegt Tesla längst weit vor Ford: Der Elektropionier bringt mit über 50 Milliarden Dollar Börsenwert rund sieben Milliarden Dollar mehr auf die Waage als der Dinosaurier Ford.

An der Börse drücken sich die Erwartungen der großen Investoren aus – mit Ford scheinen sie nicht mehr unbedingt in die Zukunft zu planen. Umso mehr wächst bei der alten Automobilindustrie die Nervosität. Mark Fields ist das erste Opfer dieser um sich greifenden Panik. Er war einer der ersten Auto-Manager in Amerika, die bei Donald Trumps Überholmanöver nicht auf die Bremse traten.

Ford gab Pläne für neues Werk in Mexiko auf

Als Amerikas Präsident die aus Kostenbewusstsein gern im Ausland produzierenden Hersteller kurz nach Amtsantritt mangelnde Vaterlandsliebe vorwarf und mit Strafzöllen drohte, lenkte der (frühere) Chef von Ford sofort ein. Er warf den Plan für ein 1,6 Milliarden Dollar teures Werk in Mexiko in den Müll. Zugunsten von 700 neuen Arbeitsplätzen in Detroit.

Als „Zeichen des Vertrauens in die wirtschaftsfreundliche Politik“ des Präsidenten, der weniger Steuern und weniger Regulierung versprochen hatte. Genutzt hat dem 56-Jährigen die Liebedienerei nichts. Er ist gefeuert – nur vier Monate nach Amtsantritt Trumps.

Die „Dinosaurier“ fürchten sich vor dem Silicon Valley

Fields Abgang ist das bisher prominenteste Beispiel für die Ungleichzeitigkeit in einem der wichtigsten Industriezweige Amerikas. Während der „Dinosaurier“ Trump gegen alle internationalen Usancen konventionelle Massenproduktion einklagt, Hauptsache das Blech wird in Amerika gebogen, suchen die Traditionsvertreter der Branche händeringend den Anschluss an finanziell potente Silicon-Valley-Firmen wie Tesla, Google oder Apple, die das Auto längst als bewohnbares Smartphone auf vier Rädern begreifen.

Fields, so spekulieren Analysten, ist das erste Opfer eines Trends, der irgendwann auch bei den großen Konkurrenten General Motors (mit Vorstandschefin Mary Barra) und Fiat-Chrysler (mit Vorstandschef Sergio Marchionne) für Personal-Rochaden sorgen könnte.

Ein Unternehmen ohne Gewinnen ist plötzlich 51 Milliarden Dollar wert

Dabei geht es Ford so katastrophal schlecht überhaupt nicht. 2016 setzte der Konzern knapp 150 Milliarden Dollar um und machte zehn Milliarden Dollar Bruttogewinn. Trotzdem brach der Aktienkurs unter Fields nach dem Abgang seines Vorgängers und allseits verehrten Alan Mulally binnen drei Jahren um 40 Prozent ein. Dann geschah etwas, das Auto-Experten vor wenigen Jahren noch für unmöglich gehalten hätten.

Tesla, der quirlige kalifornische Elektroauto-Pionier des noch quirligeren Weltverbesserers und Weltraumeroberers Elon Musk, wurde an der Börse kürzlich plötzlich mit 51 Milliarden Dollar notiert. Ein Unternehmen, das noch nie Gewinn gemacht hat und im vergangenen Jahr gerade einmal 25.000 seiner geräuschlos dahinsurrenden Hochpreis-Modelle verkaufen konnte. Ford dagegen hatte knapp 620.000 verkaufte Automobile in den Büchern stehen. Börsenwert trotzdem „nur“ 43 Milliarden Dollar. Eine Optik, wie sie ungünstiger kaum sein kann.

Ford: „Ein frisches Paar Augen muss her“

Weil der mit 270 Millionen Autos nahezu gesättigte US-Markt, der von steigenden Zinsen, fallenden Gebrauchtwagenpreisen und Autokrediten in Schieflage geprägt ist, nach dem Rekordjahr 2016 (17,6 Millionen verkaufte Neuwagen) in diesem Jahr eine deutliche Abkühlung erwartet, sah sich Chairman Bill Ford zum Handeln gezwungen. Der Urenkel des Gründers Henry Ford entschied: „Ein frisches Paar Augen muss her.“

Letzteres gehört einem Mann, der anders als es das ungeschriebene Gesetz in der US-Autobranche vorsieht, weder Blei noch Benzin im Blut hat. James Hackett, 62, kahler Kopf, gewinnendes Lächeln, arbeitete lange Jahre erfolgreich an der Spitze des Büromöbelherstellers Steelcase, bevor ausgerechnet Mark Fields ihn zu Ford holte, um dort in der eigens eingerichteten Innovationssparte „Smart Mobility“ (Intelligente Mobilität) Zukunftsfelder zu erschließen.

James Hackett macht Ford wieder Hoffnung

Hackett, der zwischenzeitlich auch das Football-Programm der Universität von Michigan mit Hilfe eines Promi-Trainer aus der Profi-Liga NFL reformierte, führte den Bereich seit über einem Jahr so erfolgreich, dass die Firmenspitze um Bill Ford ihn einen „wahren Visionär“ nennt. Einen, der den nach sexy Storys lechzenden Investoren und Börsen-Analysten den Eindruck vermittelt, dass Ford nicht das Schlusslicht im Ringen um die mobile Moderne wird.

Also kaufte das Unternehmen den Fahr-Shuttle-Service Chariot, tat sich mit Fahrrad-Sharing-Firmen zusammen (der Daten wegen, sagt Hackett) und arbeitet mit Hilfe des Start-ups „Argo AI“ an der Entwicklung autonomer Fahrtechniken, die – glaubt man Experten – in 20 Jahren den Verkehr auf Amerikas Straßen revolutionieren werden.

Wie lange lässt sich mit wuchtigen Pick-ups noch Geld verdienen?

Dass Ford mit Themen wie künstliche Intelligenz, Roboter-Wagen und
alternativen Antrieben zwar gegen die massiv ins Auto-Segment strebenden Hightech-Giganten Google/Alphabet und Apple mithalten kann, aber noch längst damit kein Geld verdient,
bleibt bei alldem ausgeblendet. Der mit Abstand meistverkaufte Wagen in den USA ist noch immer der Ford-Spritfresser F-150, ein wuchtiger Pick-up. Wie lange noch, das ist die große Frage.

Mark Fields hatte die Zeichen der Zeit bereits erkannt. Mit der von ihm in den vergangenen Wochen eingeleiteten Strategie eines größeren Stellenabbaus in Amerika und Übersee (die Rede ist von insgesamt 20.000 Stellen) vererbt der seit fast 30 Jahren bei Ford aktiv gewesene Manager seinem Nachfolger Hackett nun den programmierten Groll des selbst ernannten Arbeitsplatzretters Donald Trump. Der hatte den Belegschaften der US-amerikanischen Autobauer bis zuletzt eine goldene Zukunft versprochen. Mark Fields hat das so nie geglaubt.