Warschau. Ein Niedriglohn-Land mit schlechten Strukturen? Auf der Hannover Messe geht Polen in die Offensive und will mit Fachkräften punkten.

Billige Arbeitskräfte, veraltete Strukturen, wenig Vorzeigeunternehmen – so lauten die Vorurteile in Deutschland über den großen Nachbarn im Osten. Das wollen die Polen nicht mehr auf sich sitzen lassen. „Wir bewegen uns von der Volkswirtschaft der Imitation zur Volkswirtschaft der Innovation“, kündigte Tadeusz Koscinski, stellvertretender Wirtschaftsminister, selbstbewusst für den Auftritt in Deutschland an.

Unter dem Motto „Smart means Poland“ ist das Land erstmals Partner der weltgrößten Industrieschau Hannover Messe, bei der sich diese Woche rund 200 polnische Firmen präsentieren. Polen zeigt unter anderem Hightech-Erzeugnisse wie Robotertechnologie, 3-D-Drucker und Drohnen.

Seit 2015 galt in der Wirtschaftspolitik: „Polen zuerst“

Die Imageoffensive scheint vonnöten, nicht nur wegen alter Vorbehalte, sondern auch neuer Entwicklungen: Mit ihrem nationalkonservativen Kurs hat die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), seit Herbst 2015 am Ruder, europaweit irritiert. Die Regierung verkündete eine nationale Wirtschaftspolitik – „Polen zuerst“. Der verkaufsoffene Sonntag soll gestrichen werden und ausländischen Medienkonzernen, vornehmlich deutschen, droht der Zwangsverkauf ihrer Titel. Justizminister Zbigniew Ziobro wird ab dem Sommer per Gesetz alle leitenden Richter eines ordentlichen Gerichts ihres Amtes entheben können.

Von westlichen Unternehmen in Polen wurden darum die „politisch-gesellschaftliche Stabilität“ und die „Vorhersehbarkeit der Wirtschaftspolitik“ am negativsten gewertet, so eine aktuelle Umfrage der Außenhandelskammern von 14 Ländern in Warschau. Dennoch gibt es Grund zum Optimismus. Nach dem verhaltenen Jahr 2016 soll es 2017 wieder knapp vier Prozent Wirtschaftswachstum geben.

Die Arbeitnehmer sind gut ausgebildet und motiviert

Gelobt wird weiterhin die Qualität der Ausbildung polnischer Arbeitnehmer und ihre hohe Motivation. Deutsche Firmen haben innerhalb von 25 Jahren rund 28 Milliarden Euro nach Polen getragen. Bekannt ist Polen auch deshalb bislang vor allem als Produktionsstätte deutscher Firmen, als „verlängerte Werkbank“. Die Bezeichnung „Billigland“ trifft jedoch nicht mehr zu, wenn auch der Durchschnittslohn von umgerechnet rund 1000 Euro brutto auch nach einem deutlichen Anstieg immer noch recht niedrig ist.

Rund 82 Milliarden Euro Fördergelder der EU bis 2020 werden die Konjunktur weiter ankurbeln, investiert werden sollen die Gelder in Infrastruktur und Innovationen. Gute Geschäfte für deutsche Firmen winken. Der Automatisierungstechnikkonzern Festo zum Beispiel will an der Modernisierung mitverdienen. Nach Auskunft des Unternehmens, das bereits in Polen ansässig ist, seien nur 15 Prozent der Fabriken voll automatisiert, 76 Prozent zum Teil, im Rest gibt es Handarbeit.

Volkswagen eröffnete 2016 ein neues Werk

Auch die großen Konzerne investieren weiterhin ins östliche Nachbarland – so soll im niederschlesischen Jauer (Jawor) ab 2019 die Produktion in einem Motorenwerk der Daimler AG beginnen. Seit Herbst vergangenen Jahres rollt bei Posen (Poznan) der VW Crafter vom Band. Die Automobil- und Zulieferer-Branche boomt in Polen – sie ist im vergangenen Jahr um 11,2 Prozent gewachsen.

Erfolgsgeschichte schreiben aber auch rein polnische Firmen in dieser Branche – und exportieren nach Westen. Wer unter den Messebesuchern in Hannover die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt, sitzt vielleicht in einem Solaris-Elektrobus. Der Hersteller Solaris Bus & Coach gilt als polnischer Vorzeigebetrieb auf der Industrieschau. „Unsere Busse fahren bereits in 150 deutschen Städten, wir wollen jedoch auch in kleineren Orten bekannter werden“, sagt ein Sprecher. Im vergangenen Jahr erzielte das Unternehmen mit dem Verkauf von rund 300 Stadtbussen allein in Deutschland einen Umsatz von etwa 100 Millionen Euro.

Berliner Ingenieur gründete Bus-Werk in Polen

Solaris ist auf alternative Antriebe spezialisiert und kann strenge Umweltauflagen erfüllen. Ihr Gründer, der polnische Ingenieur Krzysztof Olszewski, leitete in den 80er-Jahren in Westberlin die Busmarke Neoplan und brachte so die Kompetenzen mit, östlich der Oder ein eigenes Unternehmen zu gründen.

Dicht auf den Versen der Konkurrent Ursus Bus. Das Unternehmen mit Sitz im ostpolnischen Lublin hat bereits Busse nach Skandinavien verkauft und will mittels der Messe auf dem deutschen Markt Fuß fassen. „Im Gegensatz zu unserem Konkurrenten bieten wir keine breite Auswahl an Produkten an, sondern sind auf den Elektrobus spezialisiert“, sagt Verkaufschef Waldemar Rumunski.

Die Traktoren von Ursus, einst sozialistischer Traditionsbetrieb, rollen bereits über deutsche Äcker. Dies war erst nach einer Intervention von Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki bei seinem damaligen Kollegen Sigmar Gabriel möglich, so das Unternehmen. Nach polnischen Presseberichten hätten deutsche Behörden die Zulassung des polnischen Treckers verschleppt. Die Industrieschau in Hannover, so hoffen die Polen wohl, soll weitere Hindernisse aus dem Weg räumen – und Vorurteile abbauen.