Berlin. Insider sollen Ermittlern bei der Aufklärung von Cum-Ex-Geschäften helfen. Der Druck auf Banken wird erhöht. Es geht um Milliarden.

Erwin Müller wird am Mittwoch mit Freude die Nachrichten verfolgt haben. Der Multimillionär und Inhaber der gleichnamigen Drogeriekette hat bei dubiosen Cum-Ex-Börsengeschäften viel Geld verloren. Seine Bank hat er auf Rückzahlung von 45 Millionen Euro verklagt.

Bei der Aufklärung solcher Geschäfte sind Ermittler aus Nordrhein-Westfalen nun einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Denn auch der Staat hat dabei Geld verloren: Experten schätzen, dass die deutschen Steuerzahler um mehr als zehn Milliarden Euro geschädigt wurden.

Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, ist es Ermittlern der Staatsanwaltschaft Köln und des Landeskriminalamts NRW nun gelungen, Insider zum Reden zu bringen. Die Behörden hatten zwar bisher schon viele Informationen über die Börsendeals zusammentragen können. Aber die genaue Funktionsweise und die Namen der Beteiligten waren vielfach unbekannt.

Druck auf Drahtzieher und Mitwisser steigt

Die Kenntnis dieser Details macht nun nicht nur die Verurteilung der bekannten Täter wahrscheinlicher. Sie erhöht auch den Druck auf jene Drahtzieher und Mitwisser, die sich bisher noch nicht gerührt haben. Auf Basis der Insider-Aussagen ist mit weiteren Razzien bei Banken und Händlern zu rechnen. Wer sich nicht offenbart und das Geld zurückzahlt, dem drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Das ist das höchste Strafmaß bei Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen.

Der Steuerbetrug war offenbar das Ziel der Geschäfte, die unter dem Namen Cum-Ex liefen. Dabei wurden Aktien mit („cum“) und ohne Dividende („ex“) so lange hin und her verschoben, bis die Finanzämter den vermeintlichen und tatsächlichen Inhabern dieser Papiere mehrfach Kapitalertragsteuer erstatteten – obwohl sie nur ein einziges Mal gezahlt worden war.

Es laufen Ermittlungen gegen mehr als 100 Geldhäuser

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln wollte am Mittwoch nur bestätigen, dass es Ermittlungen in Sachen Cum-Ex gibt. Über den Fortschritt dieser Ermittlungen und über die aktuellen Erfolge sagte er nichts: „Steuergeheimnis“.

Auskunftsfreudiger zeigte sich der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Wenn jetzt weitere beteiligte „Banken und ihre Komplizen endlich bestraft werden können“, sagte er, dann „ist das für jeden ehrlichen Steuerzahler ein wichtiges Signal“. Es lohne sich, komplizierte Ermittlungen beharrlich zu verfolgen.

Die Finanzbehörden in NRW hatten vor zwei Jahren für angeblich fünf Millionen Euro einen Datenträger gekauft, auf dem Daten zu Cum-Ex-Geschäften gespeichert waren. Zur gleichen Zeit wurde eine spezielle zehnköpfige Ermittlergruppe beim LKA in Düsseldorf gegründet, die sich der organisierten Finanz-Kriminalität widmen sollte.

Walter-Borjans hatte kürzlich gesagt, es werde gegen mehr als 100 Banken im Zusammenhang mit den umstrittenen Geschäften ermittelt. Von Cum-Ex-Ermittlungen betroffen waren unter anderem die Commerzbank, die Hypovereinsbank und der WestLB-Nachfolger Portigon. Dieser musste jüngst vor dem Hintergrund der Ermittlungen seinen Jahresabschluss verschieben.

Untersuchungsausschuss könnte neue Erkenntnisse gewinnen

In Berlin befasste sich zuletzt ein Untersuchungsausschuss des Bundestags mit dem Thema Cum-Ex. Die Abgeordneten versuchten zu ermitteln, warum es mehreren Bundesregierungen erst so spät gelang, die rechtlich zweifelhaften Geschäfte zu stoppen.

Der Bericht dazu wird derzeit verfasst, aber der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick befürchtet, er werde veraltet sein, wenn er kurz vor der Sommerpause veröffentlicht wird. Schick, der den Ausschuss maßgeblich initiiert hat, verlangt deshalb eine Fortsetzung der Ausschussarbeit: „Nach den neuen Erkenntnissen können wir im Bundestag nicht einfach stupide den von der Koalition vorgegebenen Zeitplan abarbeiten“, sagte er dieser Redaktion. Die Ergebnisse der Ermittler könnten nur genutzt werden, wenn weitere Zeugen befragt und neue Dokumente gewürdigt werden. „Ich fordere deshalb die Koalition auf, den Weg für zusätzliche Zeugenbefragungen und Beweisbeschlüsse im Ausschuss frei zu machen“, verlangte Schick.

Der Obmann der SPD in diesem Ausschuss, Andreas Schwarz, rief die Banken und Anlageberater zur Kooperation auf – und den Ermittlern zu helfen. Er verlangte mehr und besser bezahlte Steuerfahnder und Betriebsprüfer.