Berlin. Mit Mini-Häusern kämpft ein Berliner Projektteam gegen die Wohnungsnot in Großstädten. Ersatz für weiteren Wohnungsbau sind sie nicht.

Als Amelie Salameh vor einigen Monaten nach Berlin zog, lebte sie erst einmal einen Monat lang in ihrem eigenen Haus – für einhundert Euro pro Monat. Und das in einer Gegend, in der es wegen steigender Mietpreise für viele Menschen mit kleinem Budget schier undenkbar ist zu wohnen – schon gar nicht in den eigenen vier Wänden. Möglich machen es Mini-Häuser in einem Berliner Projektgarten.

Kochnische, Bett, einen Heizofen, Dusche und Toilette. Das alles passt im Mini-Haus auf 6,4 Quadratmeter.
Kochnische, Bett, einen Heizofen, Dusche und Toilette. Das alles passt im Mini-Haus auf 6,4 Quadratmeter. © Maurizio Gambarini | Maurizio Gambarini

Drinnen hat die 23-Jährige alles, was sie zum Wohnen braucht: Kochnische, Bett, einen Heizofen, Dusche und Toilette. Das alles passt auf 6,4 Quadratmeter Wohnfläche und ist für die Konstrukteure von der Tiny House University – einem Kollektiv aus Wissenschaftlern und Personen der Kreativwirtschaft – der erste Schritt zu einer Lösung der Wohnungsnot in deutschen Großstädten. Dort müssen bis 2030 Zehntausende Wohnungen entstehen, doch der Platz in den begehrten Innenstädten ist knapp. Miniaturhäuser sollen dieses Problem zumindest teilweise lösen, indem sie dort platziert werden, wo sonst keiner baut: Auf Hausdächern und in Baulücken.

Kleine Häuser, zumal auf Rädern, sind nicht neu. Anders als zum Beispiel ausgebaute Bauwagen basieren die Mini-Häuser jedoch auf einem durchdachten Konzept. Jeder freie Quadratzentimeter wird genutzt. Im Häuschen von Testbewohnerin Salameh braucht man vier kleine Schritte von der Eingangstür zum Bad im hinteren Teil der Wohnung. Auf halbem Weg liegt die Kochnische. Das Hochbett liegt über der Duschkabine unter der 3,60 Meter hohen Decke. Eine Leiter hängt an der Wand. An drei Seiten lassen großzügige Fenster Licht in die kleine Behausung. Neben dem Eingang steht ein Sessel, der eher zum Sitzen als zum Ausstrecken einlädt.

Mieten in Großstädten um sechs Prozent gestiegen

Eine einheitliche Definition für die sogenannten Tiny Houses („tiny“ bedeutet auf Englisch „winzig“) gibt es nicht. Die meisten haben eine Wohnfläche von weniger als 50 Quadratmetern. Es gibt sie in den Materialien Holz oder auch Plastik. Einige sind fest installiert, andere stehen auf Anhängern, damit ihre Bewohner problemlos umziehen können. Tiny Houses gibt es weltweit – von Japan bis in die Vereinigten Staaten von Amerika. Mittlerweile berichten sogar eigene Fernsehshows über das freiwillige Leben auf engstem Raum.

Auch in Deutschland sind die Berliner Tüftler nicht die ersten, die mit Mini-Häusern experimentieren. In der Münchner Studentenstadt stehen schon seit 2005 sieben Wohnwürfel für Studenten. Auf den sieben Quadratmetern lässt sich arbeiten, kochen, essen und schlafen. Eine Dusche und Toilette gibt es auch. An die Esstisch sollen bis zu fünf Personen passen. Die Miete liegt bei 150 Euro im Monat. In München, der Stadt mit den höchsten Mietpreisen Deutschlands, ist das ein echtes Schnäppchen.

Gerade in Städten wie Berlin, aber auch Hamburg, München oder Köln kommen die Kommunen mit dem Wohnungsbau nicht hinterher. Das Ergebnis: Die Mietpreise steigen. Laut dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung sind die Mieten in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern zuletzt um mehr als sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Mit dem Zuzug von Flüchtlingen in den vergangenen Jahren hat sich die Konkurrenz auf dem Markt für günstige Wohnungen noch einmal verschärft.

Es geht auch Wohnraum, der bezahlbar ist

Das Mini-Haus, in dem Salameh gewohnt hat, steht seit März auf dem Innenhof des Berliner Bauhaus-Archivs. Hier will Kurator Van Bo Le-Mentzel mit der Tiny House University bald eine ganze Siedlung bauen – und so das Wohnen in der Großstadt neu erfinden. Für Le-Mentzel geht es dabei nicht nur um technische Lösungen. 2019 will er einen Bauantrag für ein Mehrgenerationenhaus stellen. Das bestehende Mini-Haus-Modell soll darin als eine von mehreren Wohnungen aufgehen und nur 100 Euro Monatsmiete kosten. Daneben, darunter oder darüber soll es auch Wohnungen mit bis zu fünf Zimmern geben – für weniger als 1000 Euro Miete. „Wir wollen bezahlbaren Wohnraum schaffen und die Gentrifizierung stoppen“, sagt Le-Mentzel. In diesen Häusern sollen Arme, Reiche, Familien, Obdachlose und Studenten unter einem Dach wohnen können.

Wo das Mehrgenerationenhaus gebaut werden soll und wer die Baukosten von geschätzten vier Millionen Euro bezahlt, ist noch nicht klar. Aktuell prüfe er mit Investoren Standorte in Berlin, Köln und Hannover, sagt Le-Mentzel. „Wir wollen mit den Tiny Houses Baulücken füllen.“ Er schätzt, dass schon Freiräume von 35 Metern Breite ausreichen würden, um dort bis zu 100 Menschen wohnen zu lassen.

Mini-Häuser auf den Dächern der Großstadt?

Der Architekt Simon Becker und sein Kollege Andreas Rauch haben eine ähnliche Vision – nur an ganz anderer Stelle. „Wir prüfen derzeit vier Dächer in Berlin“, sagt Becker. Sein Start-up „Cabin Spacey“ will dort Miniaturhäuser mit rund 20 Quadratmetern Wohnfläche bauen. Im vergangenen Jahr sammelte das Duo für einen Prototypen innerhalb von vier Wochen 30.000 US-Dollar von Unterstützern im Internet ein. Die Mini-Häuser über den Dächern sollen in der Produktion je nach Ausführung bis zu 120.000 Euro kosten. Ob sie anschließend vermietet oder verkauft werden und zu welchem Preis, haben die beiden Gründer noch nicht entschieden, sagt Becker.

Doch können Mini-Häuser, in denen Menschen auf engstem Raum leben, überhaupt das Problem von steigenden Mietpreisen und Verdrängung in den Großstädten lösen? Geht es nach Becker und Le-Mentzel sollen sich Angebot und Nachfrage mithilfe ihrer Kleinstwohnungen wieder annähern. Beide sagen, sie wollen Tausende Mini-Wohnungen bauen.

Tiny Houses „kein Allheilmittel“

Das Berliner Wohnungsunternehmen Hilfswerk-Siedlung, das mit der Tiny House University kooperiert, ist da etwas zurückhaltender. Tiny Houses seien „kein Allheilmittel“, teilt das Unternehmen mit. Wichtig sei immer noch, viele neue herkömmliche Wohnungen zu bauen – allerdings mit geringerer Wohnfläche. Die Mini-Häuser könnten laut dem Unternehmen eine Lösung für Mieter mit geringem Budget sein, etwa für Studenten.

Testbewohnerin Amelie Salameh ist von dem Konzept bereits überzeugt. In Kürze will sie anfangen, ihr eigenes Mini-Haus zu bauen. Für ihre Bleibe will sie sich allerdings ein bisschen mehr Platz als zuletzt gönnen – und plant mit zehn Quadratmetern.