Brüssel. Als Konsequenz nach dem Abgas-Skandal fordert das EU-Parlament neue, einheitliche Standards, bessere Kontrollen und Entschädigungen.

Anderthalb Jahre nach der Aufdeckung des VW-Abgas-Skandals will die EU Konsequenzen ziehen: Wie kann durch Kontrollen die Einhaltung der Grenzwerte sichergestellt werden? Braucht es eine europäische Oberaufsicht? Welche Entschädigung steht den getäuschten Kfz-Käufern zu? Dazu hat das EU-Parlament jetzt Forderungen beschlossen. Doch bei den Mitgliedstaaten dürfte es Widerstand geben.

• Kontrolle: „Was wir heute verabschiedet haben, ist ein positiver Schritt, um eine Wiederholung von Dieselgate zu vermeiden“, sagt der niederländische EU-Abgeordnete Gerben-Jan Gerbrandy. Er hat als Vertreter der liberalen ALDE-Fraktion den Bericht des Untersuchungsausschusses mitverfasst: „Die EU-Regierungen müssen das Vertrauen in die europäische Auto-Industrie wiederherstellen und für striktere Aufsicht sorgen.“ Dazu braucht die EU nach Auffassung der Parlamentsmehrheit mehr Kontrollbefugnisse.

Dafür müsse die nationale Zuständigkeit für die Zulassung neuer Typen nicht abgeschafft werden. Die EU-Kommission solle aber verhindern, dass die Hersteller sich irgendwo in der EU besonders großzügige Prüfer aussuchen können. Brüssel soll künftig dafür sorgen, dass die Standards überall einheitlich sind, und sich vergewissern, dass sie auch eingehalten werden.

Ein KFZ-Servicetechniker untersucht mit einem Auslesegerät vor einem vom Abgas-Skandal betroffenen 2.0l TDI Dieselmotor.
Ein KFZ-Servicetechniker untersucht mit einem Auslesegerät vor einem vom Abgas-Skandal betroffenen 2.0l TDI Dieselmotor. © dpa | Julian Stratenschulte

Greifen sollen die neuen Regeln ab 2020. Dann, verlangt das Parlament, müssen mindestens 20 Prozent aller Modelle nach der Zulassung auch im Straßenbetrieb auf Einhaltung der Abgas-Limits getestet werden. Wer durchfällt, soll durch Veröffentlichung der Resultate zusätzlich unter Druck gesetzt werden, die Vorschriften einzuhalten. Zugleich werden die engen finanziellen Verbindungen zwischen Industrie und Prüfstellen gekappt; Letztere dürfen nicht mehr über Gebühren direkt von den Firmen bezahlt werden.

Vor allem die Sozialisten und Grünen hatten zusätzlich verlangt, ein neues, von der Kommission unabhängiges EU-Amt einzurichten und mit der Marktaufsicht zu betrauen. Dieser Antrag scheiterte am Widerstand der Christdemokraten, Konservativen und Liberalen. Sie seien offenbar nicht bereit, „scharfen Worten Taten folgen zu lassen“, kritisierte Rebecca Harms von den Grünen.

• Entschädigung: Ein Ärgernis ist nach Ansicht des Parlaments, wie sich die Hersteller bislang um Schadenersatz für europäische Kunden herumdrückten – während VW in den USA den betroffenen Diesel-Kunden hohe Entgelte zahlt. Nachrüstung und Mängelbeseitigung sei nicht ausreichend, findet das EU-Parlament. Der Hersteller habe für Verluste geradezustehen, die dem Käufer entstünden, weil sein Auto die Vorschriften nicht einhält. Das könnten etwa höhere Kfz-Steuern, Fahrverbote oder niedrigerer Wiederverkaufswert sein.

Genaue Vorschläge soll die EU-Kommission liefern. Sie wird zudem aufgefordert, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, um Sammelklagen auf Schadenersatz zu ermöglichen. Es müsse Schluss sein mit der Missachtung der Verbraucher, sagte der britische Konservative Daniel Dalton, federführend für die Neuregelung der Typenzulassung. Früher sei der Kunde bei den Angaben zum Kraftstoffverbrauch beschwindelt worden. „Jetzt weiß er: Die Abgaswerte stimmen auch nicht!“

• Reaktionen: Der europäische Verbraucher-Dachverband BEUC zeigte sich angetan von den Beschlüssen: „Das Parlament hat die richtigen Lehren aus dem Abgas-Skandal gezogen und sich auf die Seite des Verbrauchers gestellt. Das undurchsichtige Test-System verschafft derzeit den Herstellern einen Vorteil gegenüber den Kunden, und dies Abstimmungsergebnis hilft, eine Kehrtwende herbeizuführen.“

Das Europäische Parlament in Straßburg, Frankreich.
Das Europäische Parlament in Straßburg, Frankreich. © dpa | Patrick Seeger

Auch der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses beantwortet allerdings nicht eindeutig die Frage nach den Schuldigen. 47 Zeugen – Hersteller, EU-Kommissare, Experten, Regierungsmitglieder – hat der Ausschuss befragt, darunter Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und den ehemaligen EU-Industriekommissar Günter Verheugen. Im Abschlussbericht heißt es, sowohl die Mitgliedstaaten wie die EU-Kommission hätten über Jahre alle Hinweise ignoriert, dass Dieselfahrzeuge auf der Straße viel mehr Stichoxid in die Luft blasen, als nach den EU-Normen zulässig wäre. Einzelne Verantwortliche nennt der Bericht nicht.

„Die Ereignisse des September 2015 haben uns die Augen geöffnet“, gab EU-Umweltkommissar Karmelu Vella in Straßburg zu. „Wir brauchen eine 180-Grad-Wende in unserem Regelwerk.“ Das geht allerdings nicht ohne die Mitgliedstaaten, die mitbeschließen müssen, was das Parlament an Skandal-Konsequenzen verlangt. Die Bereitschaft dazu hält sich in Grenzen, vor allem aufseiten der wichtigsten Herstellerländer.