Tel Aviv. Israel ist Heimat zahlreicher Tech-Firmen und Start-ups. Auch deutsche Unternehmen profitieren von dem Gründergeist im Nahen Osten.

Ex-Telekom-Chef René Obermann formuliert es drastisch: Israel sei weiter fortgeschritten in der Digitalisierung als Deutschland, sagte er am Dienstag bei einer Konferenz für israelische Start-up-Gründer in Tel Aviv.

Es gebe daher für die jungen Unternehmen gute Chancen in Deutschland, sagte Obermann. Die Veranstaltung „Start in Germany“ sollte israelischen Gründern Informationen über die Besonderheiten des deutschen Marktes vermitteln.

Israel bringt die meisten Start-ups pro Einwohner hervor

Mehr als 5000 Start-ups gibt es laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger in Israel. Das Land bringt die meisten Start-ups pro Einwohner hervor, es hat 93 Firmen im Technologie-Index NASDAQ gelistet – zum Vergleich: Deutschland kommt nur auf acht.

Gregor Schlosser, Projektleiter der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer in Tel Aviv.
Gregor Schlosser, Projektleiter der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer in Tel Aviv. © dpa | Corinna Kern

IT-Größen wie Apple, Cisco, Google und Intel unterhalten hier wichtige Entwicklungszentren. „Die Zahl der Firmen, die in Israel auf irgendeine Art Innovation suchen, liegt im dreistelligen Bereich“, sagt Projektleiter Gregor Schlosser von der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in Tel Aviv.

Deutsche Unternehmen wollen das Potenzial nutzen

Längst versuchen auch deutsche Unternehmen das Potenzial für sich zu nutzen. Im September wurde bekannt, dass Volkswagen gemeinsam mit einem früheren israelischen Geheimdienstchef eine Cyber-Security-Firma gründen will.

Der schwäbische Autozulieferer Bosch hat seit November 2016 ein Forschungs- und Technologiebüro mit vier Mitarbeitern in Tel Aviv. Und der Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck kaufte 2015 das Start-up Qlight Nanotech aus Jerusalem, das Materialien für Bildschirme entwickelt. Wie kommt es, dass Israel Heimat so zahlreicher Hightech-Firmen ist?

Hightech-Erfolg fußt auf Militärausbildung

Martina Weiner ist Geschäftsführerin von i-Potentials, einer Personalstrategieberatung in Berlin. Ende November war sie Teil einer Delegation des Start-up Bundesverbandes in Israel. „Israelis werden während ihres Militärdienstes strukturiert in Technologie und Entwicklung ausgebildet“, erfuhr sie. Der zwei- bis dreijährige Wehrdienst gilt als eine der Säulen des israelischen Hightech-Erfolgs, insbesondere die Aufklärungseinheit 8200: Sie hat die Gründer erfolgreicher Start-ups wie Waze und CheckPoint hervorgebracht.

Daraus könne man Schlüsse für das Bildungssystem in Deutschland ziehen, findet Weiner. Kinder und Jugendliche sollten schon in den Schulen und Universitäten stärker an Technologien, Unternehmertum und Risikobereitschaft herangeführt werden.

Der Staat Israel gibt Gründern 85 Prozent ihres Budgets als Darlehen

Zudem können junge Gründer in Israel auf staatliche Starthilfe hoffen. Inkubatoren müssen nur 15 Prozent ihres Budgets von Investoren anwerben, die übrigen 85 Prozent steuert der Staat als Darlehen bei, das nur im Erfolgsfall zurückgezahlt werden muss.

Für jeden staatlichen Dollar investiert der Privatsektor zwischen fünf bis sechs Dollar. Etwas mehr als vier Prozent des israelischen Bruttoinlandprodukts fließen in Forschung und Entwicklung. In Deutschland sind es weniger als drei Prozent.

Mit Chuzpe zum Erfolg

Außenansicht des Firmenhauptquartiers von Mobileye in Jerusalem. Der israelische Hersteller für Fahrerassistenzsysteme wurde Anfang März 2017 von Chip-Gigant Intel 15,3 Milliarden US-Dollar übernommen.
Außenansicht des Firmenhauptquartiers von Mobileye in Jerusalem. Der israelische Hersteller für Fahrerassistenzsysteme wurde Anfang März 2017 von Chip-Gigant Intel 15,3 Milliarden US-Dollar übernommen. © dpa | Corinna Kern

Israels Innovationswunder lässt sich in vielen Zahlen und Statistiken erklären. Doch es gibt einen Faktor, der schwerer messbar, vielleicht aber umso wichtiger ist: In Israel nennt man ihn „Chuzpe“, ein jiddischer Ausdruck für eine sehr israelische Eigenschaft, die zwischen charmanter Frechheit und wahrer Unverschämtheit changiert. Israelis seien einfach mutig, was beim Firmengründen helfe, sagt Wendelin Zahoransky.

Der 24-Jährige, der kürzlich seinen Bachelor in Maschinenbau abgeschlossen hat, arbeitet als Praktikant bei einem Start-up in Tel Aviv. Die Firma Tridom entwickelt eine Methode, um Häuser mithilfe von Robotern im 3D-Druck-Verfahren zu bauen.

Zahoransky ist einer von zwölf Teilnehmern des diesjährigen „New Kibbutz Programms“, 2015 ins Leben gerufen von der Deutsch-israelischen Industrie- und Handelskammer (AHK). „Die Studierenden sollen einen Eindruck vom israelischen Gründergeist und vom modernen Israel bekommen“, erklärt Georg Schlosser, Projektmanager der AHK Israel.

Der Umgang ist persönlich, die Hierarchien flach

„Hier ist der Umgang sehr persönlich, alle sprechen sich mit Vornamen an. Das macht es leichter, eigene Ideen zu äußern“, beobachtet Zahoransky. Die israelische Geringschätzung von Hierarchien und Formalien wird sogar in der Armee gefördert.

„Wir bringen den jungen Soldaten bei, dass Hierarchie nicht wichtig ist“, sagt Nir Lempert, früher Oberst in der 8200-Einheit, heute Vorsitzender der 8200-Alumni-Assoziation und CEO einer Holdingfirma. „Man muss diskutieren, auch mit dem Kommandeur. Diese Kultur ist sehr förderlich für Innovation.“

Viele Entwickler zieht es nach Berlin

Dass sich so viele junge Menschen als Gründer versuchen, liegt aber auch daran, dass Israel kaum große Traditionsunternehmen hat.

Viele Ingenieure und Entwickler zieht es auch deshalb Richtung USA – oder ins günstige Berlin. „In Israel muss man sehr viel härter arbeiten für sein Geld“, resümiert Start-up-Praktikant Zahoransky. (mit dpa)