Frankfurt/Berlin. Der neue Protektionismus von Amerika gegenüber Europa würde beiden Seiten schaden, sagen Experten – das zeigt auch die Vergangenheit.

Führende deutsche Ökonomen warnen vor den Folgen eines Handelskrieges mit den Vereinigten Staaten. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, befürchtet, die Androhung der amerikanischen Regierung, bestehende Regeln nicht mehr einzuhalten oder sie zu ändern, sei „extrem schädlich für die Weltwirtschaft, vor allem für offene Volkswirtschaften wie die Deutschlands“.

Er mache sich „große Sorgen, dass Deutschland einer der Leidtragenden des weltweit grassierenden Protektionismus und der Erosion globaler Regeln wird“, sagte er unserer Redaktion. Auch der Präsident des Münchener ifo-Instituts, Clemens Fuest, sieht Deutschland im Falle eines Handelskriegs im Nachteil: „Bei einem Handelskrieg allein zwischen Deutschland und den USA würde Deutschland den Kürzeren ziehen – die USA sind für Deutschland wichtiger als umgekehrt.“

Unter Handelskriegen leiden beide Seiten

Dass er sein Wahlkampfversprechen „America first“ in protektionistische Wirtschaftspolitik umsetzen wird, daran will Trump keine Zweifel aufkommen lassen. Seit Beginn seiner Amtszeit drohte er China, Mexiko und auch deutschen Autokonzernen Strafzölle an. Er stieg aus dem vereinbarten Handelsabkommen TPP mit elf Pazifikstaaten aus. Nun hat es der amerikanische Präsident auch auf die Welthandelsorganisation (WTO) abgesehen – die Institution schützt Staaten vor unerlaubten Handelsbarrieren.

Trump habe seine Mitarbeiter eine Liste mit Sanktionen gegen China und andere Staaten erstellen lassen, berichten US-Medien. Ziel sei es, das Streitbeilegungssystem der Welthandelsorganisation auszuhebeln. Dieses System ermöglicht es, dass sich Mitgliedsstaaten, die sich etwa wegen Strafzöllen ungerecht behandelt fühlen, bei der WTO Beschwerde einlegen können. Deutschland drohe eine „Katastrophe“, sollte es zu einem Handelskrieg kommen, sagte WTO-Chef Roberto Azevedo der „Bild“-Zeitung.

Dax-Anleger bleiben vor Trump-Rede vorsichtig

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    Rezession in Deutschland unwahrscheinlich

    So düster sieht ifo-Chef Fuest die Zukunft allerdings nicht. Denn wenn die USA gegen Importe aus allen Ländern Zölle einführen, seien die Vereinigten Staaten selbst der Hauptverlierer. „Die Auswirkungen auf Deutschland wären spürbar, aber nicht groß genug, um Deutschland in eine Rezession zu stürzen“, sagte Fuest unserer Redaktion.

    In der Vergangenheit haben sich Handelskriege immer wieder zulasten beider Seiten ausgewirkt. Unvergessen ist unter Ökonomen der „Hähnchen-Krieg“: 1964 etwa hatte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hohe Zölle auf amerikanisches Geflügel eingeführt. Ein Bumerang, denn umgekehrt belegten die USA daraufhin französische Kognak-Brennereien oder das Volkswagenwerk mit hohen Einfuhrzöllen.

    Zahlreiche Schauplätze von Handelskriegen

    Schädlich für die Wirtschaft beider Seiten war auch der „Spaghetti-Krieg“: Der damalige US-Präsident Ronald Reagan verfügte, die Einfuhrzölle auf europäische Nudeln drastisch heraufzusetzen, um Amerikas „National Pasta Association“ vor italienischen Nudelherstellern zu schützen. Für Eierteigwaren stieg der Zoll um das Hundertfache, doch Europa konterte mit drastischen Zöllen für amerikanische Zitronen. Den US-Zitrus-Produzenten bescherte dies Verluste von rund 50 Millionen Dollar im Jahr.

    Auch der Bananenmarkt war 1993 Schauplatz eines Handelskrieges: Die Europäische Union wollte mit Zöllen europäische Produzenten und ihre früheren Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifik vor den billigen Einfuhren aus Lateinamerika schützen. In der Folge büßten die amerikanischen Konzerne Chiquita Brands International und Dole Food Company 520 Millionen Dollar ein, weil sie ihre Bananen nicht nach Europa verkaufen konnten.

    Strafzölle führen zur Verteuerung der Produkte

    Die Lehre aus den Handelskriegen der Vergangenheit lautet: Es gilt genau zu kalkulieren, welche Auswirkungen die Handelsbeschränkungen auf die eigene Volkswirtschaft haben. In der Geschichte waren dies auf lange Sicht meistens negative Konsequenzen.

    Holger Bahr, Volkswirt bei der Dekabank, geht davon aus, dass Strafzölle auf Importe direkt zur Verteuerung von Produkten führen würden. „Die Inflationsrate würde ansteigen, Kaufkraft geht verloren.“ Möglich sei, dass die US-Regierung deshalb Einfuhrzölle auf einige Staaten oder Produkte beschränken wird.

    „Trump wird wahrscheinlich vor allem die Industrieländer und weniger die Schwellenländer treffen wollen“, sieht Ferdinand Fichtner, Ökonom beim Berliner DIW. Aus den Schwellenländern beziehe die amerikanische Wirtschaft häufig einfache Vorprodukte, die sie dann weiterverarbeite. „Das können und wollen die Amerikaner wahrscheinlich selbst nicht so günstig herstellen.“ Aber gegenüber Ländern wie Deutschland mit hochwertigen Autos oder gegenüber Südkorea mit einer entwickelten Telekommunikationsindustrie könnten die USA mehr Wirkung erzielen, sagt Fichtner.

    Der gesamte Welthandel ist ein Geben und Nehmen

    Bleibt die WTO, mit deren Regeln vereinzelte Strafzölle kaum vereinbar sind. Würde Trump seine Ankündigungen wahr machen, dürften sich die betroffenen Mitgliedsstaaten bei der Handelsorganisation beschweren. Bislang gilt deren Streitbeilegung als effektives Mittel. Seit 1995 haben die WTO-Richter mehr als 300 Urteile gefällt.

    Auch Länder wie China und Russland halten sich an das Verfahren. Theoretisch könnten die USA die WTO verlassen. Doch dann würde Trumps Amerika nicht mehr von den niedrigen Zöllen in den 160 WTO-Mitgliedsstaaten profitieren. Der Welthandel ist ein Geben und Nehmen – daran kann auch ein US-Präsident nichts ändern.