Berlin. Jungunternehmer der Hauptstadt erhalten im Europa-Vergleich weniger Kapital. Somit hat Berlin aktuell seine Start-up Krone verloren.

Berlin ist nicht mehr Europas Start-up-Hauptstadt. Im vergangenen Jahr haben die dort ansässigen Jungunternehmer mit 1,07 Milliarden Euro weniger Geld von Investoren eingesammelt als die in London (2,2 Milliarden Euro), Paris (1,3 Milliarden Euro) und Stockholm (1,2 Milliarden Euro). Das geht aus dem Start-up-Barometer der Unternehmensberatung EY hervor. Im deutschlandweiten Vergleich bleibt Berlin aber die Nummer eins – vor Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Das meiste Geld floss 2016 in den Bereich Onlinehandel.

Dass die Bundeshauptstadt im EU-Vergleich zurückfällt, lässt sich leicht erklären. Wegen des Börsengangs der Berliner Start-up-Schmiede Rocket Internet habe es 2015 einen Sondereffekt gegeben, sagt Peter Lennartz, Start-up-Experte bei EY. Das 2014 eingesammelte Kapital wurde 2015 investiert – unter anderem profitierten die Essenslieferanten Deliveroo oder HelloFresh. Bei genauer Betrachtung erging es den deutschen Start-ups 2016 sogar besser denn je – denn insgesamt konnten mehr Jungunternehmer Risikokapital gewinnen.

Investition in kreative Firmen

Die Zahl der Finanzierungsrunden stieg um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Darunter seien vor allem Finanzspritzen von mittlerer Größe, etwa zehn Millionen Euro, sagt Lennartz. Diese Größenordnung sei typisch für Anschlussfinanzierungen. Das deute darauf hin, dass bei vielen das Geschäftsmodell funktioniere und Investoren bereit seien, den nächsten Geldbetrag zu überweisen. Jungunternehmer profitieren außerdem zunehmend von Konzernen, die aus strategischen Gründen Start-ups mit Risikokapital versorgen.

So forciert etwa der Autobauer Daimler mit seiner Investition in den Fernbus-Anbieter Flixbus den Wandel hin zum Mobilitätsanbieter. Tengelmann hat im Portfolio seines Venture-Capital-Fonds unter anderem Westwing, einen Onlinehändler für Wohn­accessoires. Und das Pharma-unternehmen Merck versucht mit Investitionen in Gesundheits-Start-ups wie etwa Iomx, das sich auf Krebsforschung spezialisiert hat, Wissen zu generieren.

Spitze im EU-Vergleich

Neben den strategischen Investoren spielen weiterhin klassische Risikokapitalfonds die wichtigste Rolle. Das meiste Geld kommt aus den USA. Deutsche Fonds hingegen kämpfen mit Auflagen: Um das Risiko gering zu halten, dürfen sie nur einen bestimmten Prozentsatz des Kapitals in ein Unternehmen investieren. Die Chancen stehen gut, dass Berlin in den nächsten Jahren die Spitze im EU-Vergleich zurückerobert. Lennartz geht davon aus, dass Berlin von dem Austritt Großbritanniens aus der EU profitieren wird.

„Start-ups achten bei der Standortwahl vor allem auf die Talente vor Ort“, sagt er. Mit dem Brexit aber wird wohl auch die Personenfreizügigkeit in Großbritannien eingeschränkt. Qualifizierte Arbeitskräfte könnten deshalb London meiden – und stattdessen nach Berlin ziehen. Die Szene ist in Bewegung – ein Indiz dafür gibt es schon. Die bei Jungunternehmern beliebte Konferenz „Tech Crunch Disruption“ wechselt dieses Jahr in Europa erstmals den Standort: von London nach Berlin.