Brüssel. Die EU prüft technische Wege, Autofahrer zur Einhaltung von Tempolimits zu bringen. Sogar von einer Zwangsbremse in Autos ist die Rede.

Autos, die automatisch abbremsen, wenn der Fahrer sich nicht an eine Geschwindigkeitsbegrenzung hält – diese Idee in einem EU-Papier sorgt für Wirbel. Brüssel hat nach ersten Überlegungen den Rückwärtsgang eingelegt. Der ADAC hält solch eine Zwangsbremse für technisch problematisch. Doch das Thema bleibt aktuell.

Die EU-Kommission erhofft sich eine „große öffentliche Debatte“, nachdem sie ein 56 Seiten starkes Konzept (PDF) vorgelegt hat. Sie will die Verkehrssicherheit verbessern und denkt dabei auch an die sogenannte „Intelligent Speed Adaption“. Ab 2020, so der Vorschlag, könnte diese Technik Voraussetzung sein für die Typ-Zulassung neuer Fahrzeuge. Damit kann ein Computer Einfluss nehmen auf das Fahrtempo. „EU will Tempoverstöße unmöglich machen“, meldete die „Auto Bild“. Doch das dementiert die Kommission.

Kommission will sinkende Opferzahlen vorweisen

Klar ist: Die EU-Kommission will mehr tun gegen Verkehrsunfälle. Sie hält es für „durchaus wahrscheinlich“, dass sie nicht wie geplant die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 gegenüber 2010 halbieren kann. 2010 waren 31.500 Menschen in der EU im Straßenverkehr ums Leben gekommen.

Zugleich schreiten die Möglichkeiten der Fahrzeugtechnik immer weiter voran. Aber was von dem, was technisch möglich ist, soll auch Pflicht werden? Das genau prüft die EU. Ein aktuelles Arbeitspapier aus dem Dezember baut dabei auf einer 470 Seiten starken Machbarkeitsanalyse aus dem Jahr 2015 auf.

Verpflichtende Geschwindigkeitskontrollsysteme könnten die Zahl der Toten nach einer Studie von 2005 um 37 Prozent senken, heißt es darin. Andere Studien kommen zu ähnlichen Werten. Wer schneller fahren will als erlaubt, könnte im Extremfall vom Computer ausgebremst werden. Obwohl die EU das Papier bereits Mitte Dezember öffentlich gemacht hat, machte erst Ende Januar die Nachricht die Runden: Die EU wolle die Zwangsbremse einführen.

Widerstand beim Gaspedal ist vorstellbar

Aus der Kommission heißt es nun auf Anfrage, eine der möglichen Maßnahmen sei tatsächlich die verpflichtende Einführung von „Intelligent Speed Assistance“ in allen Kraftfahrzeugen. Allerdings gehe es dabei nur um Systeme, die den Fahrer zu einer Geschwindigkeitsreduzierung auffordern oder ihm dabei assistieren. Verpflichtende Systeme, bei denen es dem Fahrer erst gar nicht möglich wäre, schneller als das Limit zu fahren, würden nicht diskutiert. Im Extremfall könnte das bedeuten: Der Fahrer spürt einen Widerstand beim Gaspedal, wenn er zu schnell wird – aber er kann sich entscheiden, trotzdem Gas zu geben.

Die Machbarkeitsanalyse 2015 war zu dem Schluss gekommen, die öffentliche Unterstützung für Tempokontrollen sei deutlich geringer und die Akzeptanz beim Nutzer schlechter, wenn das System in das Fahrverhalten eingreift. Dem Aufstand der Autofahrer wollten die zuständigen Fachleute offenbar aus dem Weg gehen.

ADAC hält Beschilderung für zu schlecht

Es gibt auch gute Gründe für fehlende Akzeptanz, meint Christoph Hecht, beim ADAC Referent für Automatisierung: „Auf Autobahnen, wo sich das System leichter umsetzen ließe, würde es vergleichswenig wenig Nutzen stiften. Und auf den Landstraßen, wo überhöhte Geschwindigkeit häufigere Unfallursache ist, ist die Qualität der Infrastruktur schlechter.“ Heißt: Schilder fehlen oder sind zu schlecht lesbar, um von Kameras erkannt zu werden, und Kartenmaterial ist vielfach nicht auf dem aktuellen Stand.

Auf dieser Basis automatische Systeme in die Geschwindigkeit eingreifen zu lassen, ist für den ADAC keine Option. Entsprechend werde sich der Automobilclub auch in einem Positionspapier gegen zwangsweisem Eingriff stellen.

Maßnahmen werden genauer untersucht

Die EU spricht auch von einem bevorstehenden breiten Beteiligungsprozess beim möglichen Gesetzesvorhaben. Doch selbst so weit ist es noch nicht: Erst werde eine Folgenabschätzung erstellt, die noch einmal Kosten-Nutzen-Verhältnis und Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit untersuche. Auf Basis der Ergebnisse will die Kommission dann dem Parlament Vorschläge zu Maßnahmen machen, bei denen sich ein klarer Nutzen ergibt. 19 verschiedene Maßnahmen rund um Fahrzeugsicherheit stehen zur Debatte.

Der Zeitplan in den EU-Unterlagen sieht bislang vor, dass die ISA-Technik bei der Typ-Zulassung neuer Modelle ab September 2020 vorhanden sein muss, ab September 2022 soll der Tempowächter dann bei Neuwagen verpflichtend vorhanden sein.

Auch Pflicht für Notbremsensystem geplant

Der Automobilclub begrüßt einige Punkte in dem EU-Papier ausdrücklich. Insgesamt schlägt das Konzept 19 Maßnahmen vor. So will die EU auch Notbremssysteme verpflichtend machen, die wegen Hindernissen voraus eine Bremsung einleiten. ADAC-Experte Hecht findet das gut. „Hier ist nur die Frage, zu welchem Zeitpunkt man bei einer Technik, die sich noch rasend schnell weiterentwickelt, einen Mindeststandard setzt.“

Handlungsbedarf sieht der ADAC auch in einer „Black Box“ für die Fahrzeuge, mit denen sich dann Daten auslesen lassen. Dabei gehe es nicht um die Pflicht, diese einzuführen – „das machen die Hersteller nach unserem Eindruck ja schon in den Steuergeräten“. Allerdings gebe es ein Ungleichgewicht zugunsten der Hersteller: „Die Schnittstellen sind nicht offen, bislang können nur sie diese Daten auslesen.“