Berlin. Der „Konzernatlas 2017“ zeigt den Einfluss weniger Unternehmen auf die globale Ernährung – zum Nachteil von Verbrauchern und Bauern.

Ob beim Saatgut, bei Düngemitteln, Traktoren, der Produktion von Lebensmitteln oder im Einzelhandel: Die Agrar- und Ernährungsindustrie gerät durch Fusionen und Übernahmen weltweit immer stärker in die Hände von immer weniger Unternehmen.

Die Leidtragenden sind vor allem Bauern und Verbraucher. Dies geht aus dem „Konzernatlas 2017“ zur Entwicklung der globalen Agrarindustrie hervor, der am Dienstag von der Heinrich-Böll-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Oxfam und Germanwatch vorgestellt wurde.

Machtkonzentration großer Konzerne

Oft sind bei dem Übernahmepoker Milliardensummen im Spiel. Allein 2015 lag der Wert der Fusionen in der Agrar- und Lebensmittelindustrie bei 347 Milliarden US-Dollar (327 Milliarden Euro) – und damit fünfmal höher als im Pharma- oder Ölsektor, heißt es in der Untersuchung.

„Es gibt seit Jahren eine immense Machtkonzentration großer Konzerne auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette der Agrar- und Ernährungsindustrie vom Acker bis zur Ladentheke“, sagte Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. „Höfesterben, Landkonzentrationen und Monokulturen sind die Folgen.“

Vier Supermarktketten rund 67 Prozent des Marktes

Eine starke Machtposition hat laut Studie der Lebensmitteleinzelhandel. Er bestimmt, welche Waren gelistet werden und in den Verkaufsregalen landen. Er bestimmt die Preise, drückt die Margen von Zulieferern und Bauern.

In Deutschland beherrschen derzeit vier Supermarktketten – Schwarz (Lidl), Aldi, Edeka und Rewe – rund 67 Prozent des Marktes. Europaweit teilen sich zehn Unternehmen fast die Hälfte des Umsatzes auf. Die US-Kette Wal-Mart erzielt danach allein 6,1 Prozent des globalen Einzelhandelsumsatzes.

50 Konzerne machen weltweit Hälfte des Umsatzes

Beliefert werden Discounter und Supermärkte wiederum zumeist mit Produkten der großen Lebensmittelhersteller. Die 50 größten Konzerne erzielen dabei weltweit die Hälfte des Umsatzes. Zu den letzten großen Fusionen zählte 2015 die Übernahme von Kraft durch den Ketchuphersteller Heinz, der somit zur Nummer sechs in der Welt aufstieg.

Doch mit der Konzentration bleibt die Angebotsvielfalt in den Läden zunehmend auf der Strecke, kritisierte Dagmar Enkelmann, Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Regionale Anbieter haben immer größere Schwierigkeiten, ihre Produkte überhaupt in die Verkaufsregale der Supermärkte zu bekommen.“ Stattdessen gehe der Trend zu Tiefkühlkost oder Fertiggerichten wie Pizzen und Suppen. Viele dieser Produkte hätten die gleichen Inhaltsstoffe und unterschieden sich nur durch ihre Labels, meint Unmüßig.

Drei Viertel des weltweiten Teehandels teilen laut Studie drei Konzerne unter sich auf: Unilever („Lipton“), der indische Konzern Tata („Tetley“) und Associated British Foods („Twinings“). In Deutschland kontrollieren mit Teekanne (35 Prozent) und der Ostfriesischen Tee Gesellschaft (25 Prozent) zwei Familienfirmen den Markt. Die Bundesvereinigung Ernährungsindus­trie (BVE) weist die Kritik an der Lebensmittelproduktion zurück: Die Branche hierzulande habe eine beispielhafte mittelständische Unternehmensstruktur. Die zehn größten Unternehmen hätten nur einen Umsatzanteil von 16 Prozent.

Die nächsten Mega-Fusionen stehen unmittelbar bevor

Eine große Marktmacht besteht laut Studie auch beim Verkauf von Landmaschinen wie Traktoren oder Ballenpressen. Die Hälfte dieses auf etwa 130 Milliarden Dollar bezifferten Marktes beherrschen drei Konzerne: Deere & Company (USA), CNH Industrial (Niederlande) und AGCO (USA).

Umworben und umkämpft ist aktuell auch das Geschäft mit Saatgut und Pestiziden. Dort werden die Karten neu gemischt. Derzeit dominieren sechs Konzerne den Markt, doch die Konzentration geht mit Riesenschritten voran. Der deutsche Pharmakonzern Bayer steht davor, das US-Saatgutunternehmen Monsanto für 66 Milliarden Dollar zu schlucken, der chinesische Staatskonzern ChemChina ist bereit, 43 Milliarden Dollar für den Schweizer Agrochemiekonzern Syngenta zu bezahlen – nachdem der Zusammenschluss von Dow Chemical und Dupont bereits beschlossen wurde.

Wer die Saat hat, hat das Sagen

So werden Ende des Jahres voraussichtlich nur noch drei Konzerne 70 Prozent des Welthandels mit Agrarstoffen beherrschen, mahnt Unmüßig. Und jeder Experte kenne das Motto der Branche: Wer die Saat hat, hat das Sagen. Wer die Kontrolle über das Saatgut habe, habe sie über die Landwirtschaft – und am Ende über die Welternährung, so die Untersuchung.

Als große Verlierer sieht BUND-Chef Hubert Weiger vor allem Bauern, deren Verkaufserlöse zunehmend in den Keller gedrückt würden. Selbst in Deutschland mussten Landwirte im vergangenen Jahr den Liter Milch günstiger verkaufen als Mineralwasser: „Das ist unter der Würde der Menschen. Dieses Preisdumping muss beendet werden.“ Hier müsse die Politik umdenken. Nicht die Bauern seien schuld an der Misere, sondern die falschen Rahmenbedingungen, meint Weiger. Landwirte würden zu Rohstoffproduzenten degradiert. „Es wird immer weniger in der Landwirtschaft verdient und immer mehr an der Landwirtschaft.“