Berlin/Leipzig. Was Unister in Jahren nicht schaffte, gelingt Insolvenzverwalter Lucas F. Flöther in wenigen Monaten: schwarze Zahlen.

Es war wohl die spektakulärste Pleite in diesem Jahr: Der Internet-Reisevermittlers Unister (fluege.de, ab-in-den-urlaub.de), über den viele Deutsche Reisen buchen, meldete im Juli Insolvenz an, nachdem Gründer Thomas Wagner bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam – auf dem Rückweg aus Venedig, wo er aus obskuren Quellen Geld für das verschuldete Unternehmensgeflecht beschaffen wollte. Für die meisten Mitarbeiter endet das Jahr jetzt allerdings deutlich positiv. Insolvenzverwalter Lucas F. Flöther hat geschafft, was Wagner nicht gelang: Das Geschäft läuft, die einzelnen Gesellschaften schreiben schwarze Zahlen. Und Flöther ist zuversichtlich, einen Käufer zu finden.

Der Insolvenzverwalter verhandelt derzeit mit etwa sechs Investoren, die Interesse am großen Ganzen haben. Darunter fasst Flöther alles zusammen, was mit Reisen zu tun hat, die Vermittlungsportale und auch den eigenen Reiseveranstalter Urlaubstours. Das andere Geschäft mit Internetseiten wie partnersuche.de und auto.de wird einzeln verkauft.

Standort Leipzig soll erhalten werden

Druck, schnell zu verkaufen, hat Flöther nicht. „Wir gehen das in Ruhe an, um einen optimalen Preis zu erzielen“, sagt der Insolvenzverwalter. „Es kann deshalb gut sein, dass der Investorenprozess erst im Jahr 2017 abgeschlossen wird.“ Auch der Standort Leipzig soll erhalten bleiben. Langfristig sei das zwar eine Entscheidung des Investors, sagt Flöther, „aber es spricht einiges dafür, dass Leipzig Standort bleibt. Wir setzen uns auch dafür ein.“

Möglicherweise verkauft Flöther das Kerngeschäft auch in Teilen. „Das hängt davon ab, welches Investorenmodell den Gläubigern die höchste Quote bringt.“ Der Insolvenzverwalter muss schließlich den optimalen Preis erzielen, um die Gläubiger zufriedenzustellen. Größter Einzelgläubiger ist der Versicherer Hanse-Merkur. Insgesamt liegen die Schulden wohl im zweistelligen Millionenbereich. Flöther schweigt sich dazu aus. Er ist zuversichtlich, „dass wir durch den Verkauf den Gläubigern eine weit überdurchschnittliche Quote auszahlen können.“

163 Millionen Euro Verbindlichkeiten der Holding

Das betrifft vor allem die Gläubiger der Tochterfirmen. Bangen müssen hingegen jene Gläubiger der Unister Holding, unter der alle anderen Firmen aufgehängt waren. Derzeit sind Insolvenzverbindlichkeiten von 163 Millionen Euro für die Holding angemeldet, wie aus dem Bericht Flöthers an das Amtsgericht Leipzig hervorgeht. Geld, dass die Holding einzelnen Gläubigern schuldet, darunter auch dem Finanzamt II in Leipzig. Ob die Summe tatsächlich so hoch ist, steht nicht fest, es sind offenbar noch nicht alle Ansprüche geklärt.

Das vorhandene Vermögen der Holding beziffert der Bericht auf 400.000 Euro, was eine Quote von 0,244 Prozent ergäbe – die Gläubiger bekämen praktisch nichts. Der Wert der Tochterfirmen, angeblich in dreistelliger Millionenhöhe, ist dabei nicht gegengerechnet, unter anderem weil unklar ist, ob aus dem Verkaufserlös etwas für die ehemalige Konzernmutter übrigbleibt und überhaupt an die Gläubiger weitergereicht werden kann.

Buchführung „für einen Konzern dieser Größe chaotisch“

Immerhin: Das Geschäft der einzelnen Unister-Firmen zieht nach einem Einbruch kurz nach der Insolvenz offenbar wieder an und wächst deutlich. Zudem schreiben die Firmen inzwischen alle schwarze Zahlen. Mitte Juli Insolvenz und wenige Monate später schon schwarze Zahlen? „Schon vor der Insolvenz hätten einzelne Unternehmensteile Geld verdienen können“, sagt Flöther. Nur seien die Marketing-Ausgaben so enorm gewesen, dass Jahr für Jahr Verluste geschrieben worden seien.

Das Firmengeflecht von 50 Gesellschaften unter der Unister Holding war für viele undurchsichtig. Die Buchführung der Unternehmensgruppe etwa bezeichnet Flöther für einen Konzern dieser Größe als chaotisch. Wie zu hören ist wurden Rechnungen offenbar nicht von den Firmen bezahlt, an die sie gestellt waren, sondern von Konten, auf denen gerade Geld war. Verträge zwischen einzelnen Firmen der Gruppe existierten demnach auch nur begrenzt. Auch waren Mitarbeiter wohl nicht unbedingt in der Gesellschaft angestellt, für die sie arbeiteten. Den Überblick über das Ganze hatte wohl tatsächlich nur Gründer und Chef Thomas Wagner – zuletzt wohl allerdings auch nicht mehr.

Hohe Ausgaben für Werbung bei Google

Die Buchführung ist inzwischen aufgeräumt. Das Firmengeflecht wird vereinfacht. Transparenz nennt Flöther als Stichwort. Er und sein Team haben zudem die Kosten radikal gesenkt. So hat der Insolvenzverwalter die Marketingausgaben zusammengestrichen. Einzelheiten gibt er nicht preis. Zu hören ist in der Branche, dass Unister zu den größten Werbekunden des US-Internetkonzerns Google gehört hat – mit teils sehr hohen zweistelligen Millionenausgaben – um mit den eigenen Seiten bei den Suchergebnissen etwa zu „Algarve“ immer weit oben zu stehen.

Auch die Zahl der Mitarbeiter ist seit der Insolvenz gesunken, der radikale Schnitt aber ausgeblieben. Flöther spricht hier von „minimalinvasiv“. Von den mehr als 1000 Mitarbeitern sind noch gut 800 dabei. Mancher Beschäftigte ging selbst. „In einem Insolvenzverfahren ist es oft die größere Herausforderung, die Leistungsträger bei der Stange zu halten, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten“, sagt Flöther. Ohne das Team sei es aber schwierig, das Unternehmen fortzuführen. Inzwischen bemerkt der Insolvenzverwalter eine richtige Aufbruchstimmung in Leipzig. Die schwarzen Zahlen hätten dabei geholfen. Und Unister investiert wieder ins Produkt. Fluege.de etwa wurde komplett neu gestaltet und kommt entrümpelt und modern daher.

Tödlicher Flug nach Venedig

Unister galt als eine Vorzeigegründung aus Ostdeutschland. Wagner startete 2002 mit der Firma. Zuletzt gab es allerdings enorme Probleme. Immer wieder wurde das Geld knapp. Wagner versuchte, einen Privatkredit bei einem angeblich israelischen Diamantenhändler zu beschaffen, und fiel dabei offenbar auf windige Geschäftspartner herein. Auf dem Rückflug aus Venedig, wo das Geschäft laufen sollte, kam er mit anderen am 14. Juli beim Absturz der Maschine ums Leben.

Vier Tage später meldete die Unister Holding als erste von mehreren Firmen der Gruppe Insolvenz an – vor allem, weil das Unternehmen ohne Wagner handlungsunfähig war. Unklar ist, ob es den Diamanthändler überhaupt gibt. Ein Vermittler aus Unna in Nordrhein-Westfalen sitzt wegen des Falls in Untersuchungshaft. Auch wegen des Absturzes wird ermittelt.