Berlin. Der Untersuchungsausschuss arbeitet den Cum-Ex-Skandal auf. Nach der Halbzeit ist klar: Die beteiligten Banken haben wenig zu fürchten.

Damit hatten die Anwälte der renommierten Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer nicht gerechnet. Der Untersuchungsausschuss im Bundestag beantragte die Durchsuchung der Kanzleiräume. Zu diesem ungewöhnlichen und harten Mittel griffen die Abgeordneten, weil sie den Eindruck hatten, die Wirtschaftsberater enthielten ihnen wichtige Unterlagen vor. Der Ausschuss untersucht einen Skandal, bei dem der deutsche Staat und seine Steuerzahler in den Jahren zwischen 1999 und 2012 bis zu zwölf Milliarden Euro verloren haben sollen.

„Offenbar kam rechtlichen Beratern eine Schlüsselrolle zu“, sagte Ausschuss-Vorsitzender Hans-Ulrich Krüger (SPD). Freshfields sei für Banken tätig gewesen, die „besonders früh, lange und ausführlich Cum-Ex-Geschäfte betrieben haben“. Der Ausschuss des Bundestages bohrt ein sehr dickes Brett, um die Affäre aufzuklären. Seit vergangenem Februar tagt das Gremium, am Donnerstag zum letzten Mal in diesem Jahr.

Defizite bei der Finanzaufsicht

„Wir müssen den Staat auf Augenhöhe zur Finanzbranche bringen, damit so etwas nicht wieder passiert“, sagt Gerhard Schick (Grüne) über den Cum-Ex-Skandal.
„Wir müssen den Staat auf Augenhöhe zur Finanzbranche bringen, damit so etwas nicht wieder passiert“, sagt Gerhard Schick (Grüne) über den Cum-Ex-Skandal. © imago/IPON | imago stock&people

Halbzeit – was haben die Abgeordneten erreicht und gelernt? „Bei der Finanzaufsicht bestehen deutliche Defizite“, sagt Gerhard Schick. Der finanzpolitische Sprecher der Grünen hatte großen Anteil daran, dass der Ausschuss eingerichtet wurde. „Wir müssen den Staat auf Augenhöhe zur Finanzbranche bringen, damit so etwas nicht wieder passiert.“ Zwölf Milliarden Euro. Um den Verlust für die Allgemeinheit zu beschreiben, sagt Schick: „Damit hätten wir zehn Jahre lang 24.000 Lehrer zusätzlich beschäftigen können.

Es geht um sogenannte Cum-Ex-Geschäfte. Der Begriff bezieht sich auf Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch. Das Prinzip: Besitzer der Aktien zahlten einmal Kapitalertragssteuer für die erhaltene Gewinnausschüttung, ließen sich die Steuer aber mehrfach vom Finanzamt zurückerstatten. Möglich wurden diese für reiche Investoren lukrativen Tricks, indem sie – sehr vereinfacht gesagt – Aktien im Umkreis des Termins der Dividendenzahlung schnell hin- und her verkauften.

Steuerzahlungen verringern

Rechtlich waren dadurch zum gleichen Zeitpunkt mehrere Leute im Besitz derselben Aktie. Banken verteilten jeweils mehrere Bescheinigungen über angeblich gezahlte Steuer, obwohl diese nur einmal entrichtet worden war. Über die Steuerbescheinigungen konnten die Investoren ihre Steuerzahlung an anderer Stelle verringern oder erhielten eine Erstattung. Die Liste der beteiligten Banken, die vermögende Privatpersonen wie den Unternehmer Carsten Maschmeyer berieten, ist lang: Sie reicht von der Commerzbank über die HSH Nordbank bis zur HypoVereinsbank (HVB).

Nach Angaben von Teilnehmern des Ausschusses gab Theodor Weimer, seit 2009 HVB-Chef, zu, dass sein Institut die fraglichen Geschäfte zwischen 2005 und 2008 „mit einer gewissen Systematik“ betrieben habe. Für sich selbst nahm der Spitzenmanager in Anspruch, kein Fehlverhalten begangen und den Skandal aufgearbeitet zu haben, nachdem er davon erfahren hatte. Schick sieht das anders: „Weimer hat dazu beigetragen, dass die Steuerexperten der HVB in Unkenntnis darüber blieben, was die Investmentbanker in London wirklich trieben.

Kriminelle Geschäfte im Steuerbereich

Aus seiner Sicht ist der spätere Vorstandssprecher deshalb mitverantwortlich dafür, dass die Cum-Ex-Geschäfte zeitweise weiterlaufen konnten. Aber auch die staatlichen Institutionen sahen im Zuge der Affäre nicht gut aus. In der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und dem Bundesfinanzministerium lagen schon früh Informationen darüber vor, was gespielt wurde. Trotzdem passierte lange Zeit nichts. „Die BaFin unter der Leitung von Jochen Sanio hat weggeschaut“, sagt Schick.

„Die Finanzaufsicht kümmerte sich nicht um die kriminellen Geschäfte im Steuerbereich, obwohl sie unter anderem von Tippgebern aus den Banken Hinweise erhielt.“ Sanio, BaFin-Chef zwischen 2002 und 2011, erklärte im Ausschuss dagegen, für solche steuerlichen Fragen sei seine Behörde nicht zuständig gewesen. Vermutlich noch bis kurz vor der Bundestagswahl 2017 will der Ausschuss weiterarbeiten. Die Auseinandersetzung über mögliche Konsequenzen ist allerdings schon im Gange. Schick sagt: „Die BaFin muss die Finanzinstitute künftig auch im Steuerbereich im Hinblick auf kriminelles Handeln kontrollieren.“

Gesetzlichen Auftrag erfüllt

Philipp Graf Lerchenfeld (CSU), stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses, weist dieses Ansinnen zurück: „Die BaFin hat ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt. Diesen sollten wir nicht ausdehnen. Denn für die Verfolgung von Steuerkriminalität sind unter anderem die Finanzämter, das Bundeszentralamt für Steuern und die Staatsanwaltschaften zuständig.“

So sind die politischen Konsequenzen derzeit kaum abzusehen. Zudem beginnt das politische Spiel nach der Bundestagswahl 2017 neu. Absehbar scheint hingegen dies: Von den vorenthaltenen Milliarden wird, wenn überhaupt, nur ein kleiner Teil zurückfließen.