Berlin. Wirtschaftsminister Gabriel will von dem VW-Skandal nichts gewusst haben. Dies sagte er vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags.
Er werde überwiegend aus der Erinnerung berichten, sagt Sigmar Gabriel, als er sich die Brille aufsetzt und anfängt, eine Erklärung vorzulesen. In die alten Akten habe er zur Vorbereitung auch geschaut, aber die habe der Ausschuss ja selbst vorliegen. Es ist eine geteilte Form der Erinnerung, die der Bundeswirtschaftsminister wählt, um zu erklären, wann er was wusste: ein bisschen Gedächtnis, ein bisschen Akte. Bloß keine Fehler machen.
Gabriel ist an diesem Tag Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestages. Die Abgeordneten wollen den Abgasskandal aufklären: Im September 2015 war bekannt geworden, dass Volkswagen den Schadstoffausstoß seiner Dieselmotoren manipuliert hat. Eine Umweltbehörde in den USA hatte aufgedeckt, dass die Motoren mit einer illegalen Software so gesteuert wurden, dass sie die vorgeschriebenen Werte für Stickoxid einhielten, wenn sie auf dem Abgasprüfstand standen. Auf der Straße aber kam viel mehr Dreck aus dem Auspuff als erlaubt. Die Software wurde in mehr als elf Millionen Autos eingebaut. 16,5 Milliarden Dollar hat der Autokonzern in den USA schon für Reparatur, Rückkauf und Entschädigungen zahlen müssen.
Der SPD-Politiker Gabriel soll nun erklären, ob und wann er als Bundesumweltminister von Manipulationen an Motoren wusste. Und was er jetzt als Bundeswirtschaftsminister unternimmt, um den Skandal aufzuklären.
In Gabriels Wahlkreis wohnen viele VW-Arbeiter
Gabriel aber umreißt erst einmal die Dimensionen des Skandals: Eine „Zäsur“ sei er. Das Vertrauen in den VW-Konzern sei verspielt worden. Die Glaubwürdigkeit der deutschen Industrie und der deutschen Klimapolitik sei erschüttert. Später wird Gabriel sich noch deutlicher vom VW-Management distanzieren – dem Unternehmen, dem er eng verbunden ist: In seinem Wahlkreis wohnen VW-Arbeiter, als niedersächsischer Ministerpräsident saß er im Aufsichtsrat. Als Wirtschaftsminister vertritt er die Interessen der Autoindustrie. Was also wusste er?
Er selbst könne sich nicht erinnern, als Umweltminister zwischen 2005 und 2009 jemals von illegalen Abschalteinrichtungen oder einer Software gehört zu haben. Im Jahr 2007 sei zwar bekannt gewesen, dass bei Dieselautos auf der Straße und auf dem Prüfstand unterschiedliche Abgaswerte gemessen werden. Damals sei es um Rußpartikel beim Diesel gegangen. Aber erst jetzt, bei der Lektüre der alten Akten, habe er gesehen, dass der Grund dafür eine bewusste Manipulation des Motors gewesen sein könne. Seine Fachleute im Ministerium hätten das damals offenbar diskutiert, aber es habe keine konkreten Hinweise darauf gegeben.
„Niemand war in der Lage, Beweise für den Verdacht zu liefern“, erinnert sich Gabriel, wobei nicht ganz klar wird, ob ihm diese Erkenntnis schon damals kam. Geteilte Erinnerung.
Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bekommt sein Fett weg
Selbst der Chef der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, habe ihn nicht auf Schummelsoftware hingewiesen, sagt Gabriel – auch wenn Resch das jetzt immer wieder behaupte. „Man kann ja mal im Umweltministerium nach einem entsprechenden Brief suchen“, schlägt Gabriel patzig vor. Überhaupt zeigt sich der Minister genervt von den Fragen des Ausschusses. Mehrfach korrigiert er die Abgeordneten, wenn er ihre Fragen für falsch hält. Dem Ausschussvorsitzenden Herbert Behrens von der Linken wirft er Suggestivfragen vor.
Auch Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bekommt sein Fett weg: Gabriel sagt deutlich, dass er nicht eingeweiht war bei der Aufarbeitung des VW-Skandals. Die Untersuchungskommission, die Dobrindt eingesetzt hat, habe geheim getagt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit kenne er aus der Zeitung.
Die Karriere von Sigmar Gabriel
Nach zwei Stunden verlässt der Minister schnell den Saal
Der Minister präsentiert sich nicht nur rauflustig, sondern auch viel besser vorbereitet als die Abgeordneten. Vergeblich bemühen sie sich, ihm und der Bundesregierung bei der Aufarbeitung des Skandals industriefreundliches Verhalten nachzuweisen. Lange dreht sich die Diskussion darum, wie die relativ laxen Grenzwerte zustande kamen, die nun in der EU für Abgastests auf der Straße gelten sollen. Gabriel erklärt ihnen, dass ihm ein Kompromiss lieber war als gar keine Lösung. Andere EU-Staaten hätten noch lockerere Werte haben wollen: „Mir war wichtig, dass schnell gehandelt wurde.“ Im Übrigen habe man die Einführung dieser Werte schon vor dem Bekanntwerden des VW-Skandals geplant.
Als die Befragung nach zwei Stunden vorbei ist, packt Gabriel seine Akten unter den Arm und verschwindet schnell aus dem Saal. Er will nicht vor die wartenden Fernsehkameras. Dort erklärt der Vizevorsitzende des Ausschusses, der Grünen-Abgeordnete Oliver Krischer, umso bereitwilliger, dass er Gabriel nicht abnehme, nichts gewusst zu haben. Nett und anekdotenhaft sei der Auftritt des Ministers gewesen, aber unglaubwürdig. Die SPD-Vertreterin im Ausschuss, Kirsten Lühmann, fand Gabriel überzeugend.
In den Stunden danach wiederholt sich das Schauspiel in abgewandelter Form. Dann sagen Gabriels Nachfolger als Umweltminister, Peter Altmaier (CDU) und Barbara Hendricks (SPD), aus. Auch sie wollen vor der Entdeckung des Skandals nichts von Manipulationen gewusst haben. Mitte Januar dann soll es richtig zur Sache gehen: Dann will der Ausschuss den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn zum Skandal vernehmen.