Berlin. Gesundheitsminister Gröhe will den Versandhandel rezeptpflichtiger Medikamente verbieten. Zweifel daran wachsen auch in der Koalition.

Fahrgäste in den U-Bahnen der Hauptstadt werden in diesen Tagen mit einem Schreckensszenario konfrontiert: Bald stünden „statt Beratung und Qualität bei der Patientenversorgung, Preise und Renditen im Vordergrund“, steht dort in großen Lettern auf roten Werbetafeln geschrieben. Apotheken in unserer Nachbarschaft seien in Gefahr.

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) streut diese Informationen. Seit der Europäische Gerichtshof (EuGH) Mitte Oktober entschieden hat, dass ausländische Versandapotheken, wie etwa die niederländische Kette DocMorris, Rabatte auf rezeptpflichtige Medikamente gewähren dürfen, fürchten die Pharmazeuten hierzulande um ihr Geschäftsmodell. Denn inländischen Apotheken bleiben Bonuszahlungen aufgrund der gesetzlichen Preisbindung verwehrt. Angesichts des sich anbahnenden Wettbewerbs mit dem Ausland droht ABDA-Präsident Friedemann Schmidt, ein entschlossen auftretender Sachse, mit der schwindenden Versorgungssicherheit in ländlichen Gebieten.

150 Apotheken betreiben auch einen Versandhandel

Noch vor Weihnachten will er die Kunden mit einer Unterschriftensammlung in der Apotheke um die Ecke in Stellung bringen. Die Listen, mit denen sich die Patienten zur Versorgung vor Ort bekennen sollen, seien bereits an sämtliche Apotheken im Lande verschickt worden.

Den wichtigsten Mann allerdings hat Schmidt schon überzeugt: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kündigte nur eine Woche nach Richterspruch an, den Versandhandel für rezeptpflichtige Medikamente gänzlich verbieten zu wollen. Eine Sprecherin des Ministeriums bestätigte, dass das Verbot derzeit geprüft werde. Statt fairen Wettbewerb, wie es die Richter für den europäischen Binnenmarkt vorgesehen hatten, gäbe dann gar keine Konkurrenten mehr.

Versandhandel soll nicht ganz aufgegeben werden

Offenbar regt sich nun Widerstand in der eigenen Partei. Auf dem Parteitag der CDU in Essen vergangene Woche preschten mehrere Bundestagsabgeordnete mit einem Antrag vor, um den Versandhandel zu retten. Einer von ihnen ist Maik Beermann: „Die CDU will eine Digitalpartei sein. Da passt es nicht, wenn wir den Versandhandel von Medikamenten verbieten“, sagte er unserer Redaktion.

Hinter vorgehaltener Hand äußern sich weitere Christdemokraten ähnlich. Auch Kai Vogel, Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, ist überzeugt, dass der zusätzliche Vertriebskanal weiterhin genutzt werden sollte, „auch wegen der beginnenden Digitalisierung im Gesundheitswesen“.

Kassenpatienten zahlen bisher eigentlich nicht

Wem würde ein Verbot also dienen? Den Patienten oder den Pharmazeuten? Eigentlich zahlen Kassenpatienten gar nichts für Arznei auf Rezept. Die Kosten rechnet der Pharmazeut mit der Krankenkasse ab – bis auf fünf bis zehn Euro Zuzahlung je Präparat. Im vergangenen Jahr summierte sich das immerhin auf über zwei Milliarden Euro.

DocMorris will nun, die EuGH-Entscheidung im Rücken, bis zu zwölf Euro „Bonus“ an Patienten bezahlen. Damit verzichten sie zwar auf einen Teil des Gewinns, locken aber mehr Kunden an. Derlei Preiskampf kennen die Apotheken auf der Straße nicht. Dank der Preisbindung muss keine Angst haben, dass ihr der Konkurrent an der nächsten Ecke durch billige Angebote Kunden abwirbt. Und die Margen bei rezeptpflichtigen Pillen sind ohnehin gesetzlich festgelegt.

Generelles Verbot „schlechte Lösung für die Verbraucher“

Dass nun Wettbewerber aus dem Ausland eine Apotheke nach der anderer in die Knie zwingen werden, dafür gibt es kaum belastbare Zahlen – so argumentieren auch Gröhes Berater. Der Generalsekretär der Monopolkommission, Klaus Holthoff-Frank, sagte unserer Redaktion, „Belege dafür, dass das Geschäftsmodell der niedergelassenen Apotheken bedroht ist, sind mir nicht bekannt.“ Ein generelles Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten sei „eine schlechte Lösung für die Verbraucher“.

Tatsächlich zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes, dass nach der Einführung des Versandhandels vor zwölf Jahren nicht das gefürchtete Massensterben der Apotheken einsetzte. 2004 gab es 21.392 öffentliche Apotheken. Im Jahr 2015 waren es 20.249. Ohnehin macht der Versandhandel nur etwa ein Prozent am 40 Milliarden Euro schweren Markt mit rezeptpflichtigen Pillen aus. Dass dieser Anteil auch nach Jahren der Liberalisierung noch immer niedrig ist, liegt wohl an der umständlichen Praxis: Patienten müssen das Rezept erst mit der Post versenden, dann die Lieferung abwarten.

Jammern auf hohem Niveau?

Hinzu kommt: Seit 2013 besserte sich laut Apothekerverband jährlich die wirtschaftliche Lage der Pharmazeuten. Zwar stimmt die Erzählung von der Goldgrube Apotheke nicht ganz. Doch die meisten Apotheken scheinen ganz gut über die Runden zu kommen: 2015 machte eine Apotheke im Schnitt 2,11 Millionen Euro Umsatz pro Jahr.

Der Gewinn vor Steuern und Investitionen lag im Schnitt bei 136.000 Euro. Eine Apotheke auf dem Land, mit weniger Patienten im Umkreis und kaum Laufkundschaft, dürfte freilich unter diesem Schnitt liegen. Die Niederlassungsfreiheit hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass immer weniger Pharmazeuten in ländlichen Regionen, sondern in Städten einen Betrieb eröffnen.

In ländlichen Gebieten gibt es kaum Apotheken

Holthoff-Frank argumentiert, dass ein Verbot das falsches Signal wäre, „weil insbesondere in ländlichen Räumen Versandapotheken die Versorgung durch die niedergelassenen Apotheken ergänzen.“ Würde auch der Versandhandel wegfallen, müssten Patienten in vielen Regionen kilometerweit fahren, um die nächste Apotheke zu erreichen.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, findet deshalb, die Schieflage solle besser mit finanziellen Hilfen gelöst werden, wie etwa „ein Umfinanzierungsfonds für Apotheken in wirtschaftlich schwierigen Lagen“.

Auch kleinere Apotheken betreiben Versandhandel

Ohnehin gebe es Zweifel, ob ein solches Verbot aus der rechtlichen Perspektive haltbar wäre, sagt Holthoff-Frank. Obwohl beim Stichwort Versandhandel viele die niederländische DocMorris vor Augen haben – ein solcher Radikalschlag würde auch die Branche der Versandhändler in Deutschland hart treffen.

Laut des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken haben über 3000 Apotheken in Deutschland eine Versandhandelserlaubnis. Davon betreiben etwa 150 einen „ernst zu nehmenden“ Versandhandel. 13 Prozent von rund acht Milliarden Euro setzen sie mit den rezeptpflichtigen Medikamenten um. Verbandsgeschäftsführer Udo Sonnenberg fürchtet, dass manchen die Schließung droht.

Will er das Verbot durchsetzen, muss Gröhe auch innerhalb der Regierungskoalition Überzeugungsarbeit leisten. Die SPD hat bereits angekündigt, das Gesetz im Bundestag abzulehnen.