Berlin. Das von drei Autobauern gekaufte Unternehmen Here entwickelt Software für selbstfahrende Autos. Ein Blick in die Zukunft der Mobilität.

Ein Jahr ist es her, dass die Autobauer Audi, BMW und Mercedes gemeinsam den Karten- und Navigationsdienst Here kauften. Das Wissen des Berliner Unternehmens war den Konzernen 2,8 Milliarden Euro wert. Here verfügt über Karten von jedem Ort der Welt. Sie bilden die Grundlage für Navigations- und andere ortsbasierte Dienste.

Das Unternehmen arbeitet an Computerprogrammen für Verbraucher, Fahrzeuge, Unternehmen und Städte, die Verkehrsströme vorhersagen und bald auch Daten liefern, mit denen sich fahrerlose Autos unfallfrei bewegen können. Ein Besuch in der Berliner Zentrale zeigt, was die Datenexperten heute schon wissen und woran sie arbeiten.

Here kann in die „Glaskugel des Verkehrs“ schauen

Christof Hellmis ist Chef-Stratege des Softwareunternehmens Here, das Navigationssysteme entwickelt
Christof Hellmis ist Chef-Stratege des Softwareunternehmens Here, das Navigationssysteme entwickelt © Massimo Rodari | Massimo Rodari

Als der Senat vor 28 Jahren Tempo 100 auf der Stadtautobahn A100 einführte, sorgte das in Berlin für heftigen Streit. Hätte es schon damals den Mobilitätsdienstleister Here gegeben, die Debatte wäre vermutlich sachlicher verlaufen. Here analysiert nämlich Verkehrsdaten.

Ein Ergebnis lautet: Die gefahrene Geschwindigkeit wird eher vom Verkehrsaufkommen geregelt als von Tempo-80-Schildern. Autos fahren auf Autobahnen im Berliner Stadtgebiet im Durchschnitt 81 Stundenkilometer schnell. Geringfügig schneller sind sie nur vor 6.30 Uhr und nach 18.30 Uhr unterwegs.

Here kann auch in die Glaskugel des Verkehrs schauen. Auf einem Bildschirm in der Firmenzentrale ist eine Berliner Straßenkarte zu sehen. Farbige Markierungen einzelner Straßenzüge zeigen den Verkehrsfluss. Eine Zoom-Funktion erlaubt es, in einzelne Straßen einzutauchen und sich die durchschnittlich dort gefahrene Geschwindigkeit anzusehen.

Offene Plattform wertet Sensordaten aus

Durch das Ändern der Einstellung lässt sich zeigen, wie Radfahren, Carsharing, BVG-Nutzung oder Bevölkerungswachstum das Verkehrsaufkommen und die Schadstoffemissionen bis zum Jahr 2030 beeinflussen würden.

Solche Prognosen werden vom nächsten Jahr an viel präziser werden. Ab 2017 stellt die „Open Location Plattform“ Echtzeit-Daten bereit. Straßenkarten von morgen sind nicht mehr bedruckte Papierbögen, die einen Zustand in der Vergangenheit zeigen. „Die Karte wird lebendig, dynamisch und interaktiv sein. Sie wird ein Datenkonstrukt“, sagt Christof Helmis. Er begleitet das Unternehmen seit seinen ersten Tagen.

2001 kam er als operativer Geschäftsführer zum damaligen Start-up Gate5. Dessen Gründer, Christophe Maire, arbeitete seit 1999 an einem Kartendienst für Mobiltelefone – lange bevor das iPhone und Google Maps auf den Markt kamen und schnelle Funknetze zur Verfügung standen.

Nokia kaufte Berliner Start-up

Mit Gate5 war Berlin schon damals ein Zentrum intelligenter Kartendienste. Und das sollte die Stadt auch bleiben: Nokia, der damalige Weltmarktführer der mobilen Telefonie, kaufte Gate5 im Jahr 2006 und legte damit den Grundstein für seine Verkehrssparte in Berlin, die seit 2012 unter dem Markennamen „Here“ firmiert.

Hellmis hielt „Here“ die Treue und ist zum Vizepräsident für strategische Programme aufgestiegen. Eines der wichtigsten ist die „Open Location Plattform“.

Dazu sammeln Sensoren, die zunächst in Autos von Audi, BMW und Mercedes eingebaut sind, Daten: Sie sollen allen Fahrern Informationen liefern, damit sie bessere Entscheidungen treffen können.

Kameras erkennen Verkehrszeichen

Bislang werden dazu GPS-Daten ausgewertet. Mit ihnen lassen sich nur der Standort und die Geschwindigkeit eines Autos beschreiben. Künftig stehen darüber hinaus weitere Datenquellen zur Verfügung: Kameras erkennen Fahrbahnmarkierungen und Verkehrsschilder, das ESP meldet Traktionsverluste, das ABS Bremsvorgänge, der Regensensor Niederschlag, die eingeschalteten Nebelleuchten schlechte Sicht, der Warnblinker einen Stau oder Unfall.

Diese Daten werden aus jedem beteiligten Auto in die Internetwolke übertragen und erzeugen eine lebendige Straßenkarte, mit der dann alle Autofahrer sicherer navigieren können, weil sie ohne Verzögerung auf alle Informationen zugreifen können.

Künstliche Intelligenz warnt vor Stau

„Die Kunst besteht darin, aus diesen Datenquellen etwas Sinnvolles zu machen. Dazu muss man die Daten normieren und verarbeitbar machen und sie interpretieren, um aus den Daten die Information zu generieren“, sagt Hellmis. „Man wird aus der Auswertung von Informationen mehr Intelligenz generieren können.“

Ein Anwendungsfall für die Open Location Plattform ist die Stauende-Warnung. Man sieht, wenn viel gebremst wird und dass Autos stehen. Man sieht auch, dass die Fahrer die Warnblinkanlage anschalten. Aus dieser Kombination von Daten kann man das Stauende errechnen – eine Verkehrsinformation in Echtzeit.

Assistenten gehören schon zum Alltag

Solche Assistenzsysteme werden sich durchsetzen. „Nehmen Sie ABS oder ESP, Einparkassistenten oder den Tempomat, Rückfahrkamera oder Parkpiepser“, sagt Hellmis. „Es gibt so viele Assistenzsysteme, die Menschenleben retten. Für Vielfahrer sind solche Systeme ein Komfort, den sie gerne nutzen.“

Doch das birgt auch Gefahren: Wird der Autofahrer ein gläsernes Objekt, wenn während des Fahrens unaufhörlich Daten gesammelt werden? „Das Verhalten eines einzelnen ist für uns nicht relevant“, versichert Hellmis und grenzt sich damit von chronischen Datensammlern wie Apple oder Google ab.

Persönliche Daten interessieren nicht

„Uns geht es um statistisch relevante Datenmengen, damit wir Verhaltensmuster erkennen können – zum Beispiel wie sich Verkehrsflüsse bewegen“, so der Experte. „Die Menge der Daten ist für uns entscheidend. Die Daten sind anonymisiert, deshalb ist der Rückschluss auf den einzelnen nicht möglich und für die meisten Szenarien nicht interessant.“

Die Open Location Plattform ist die Voraussetzung für weitere Assistenzsysteme wie die zentimetergenaue interaktive Karte „HD Live Map“, die zusätzliche Assistenzsysteme bis hin zum autonomen Fahren ermöglichen soll.

Blick in die Zukunft der Mobilität

Solche Hilfsmittel entlasten zunehmend den Fahrer, der nur noch eingreifen muss, wenn ein Assistenzsystem ausfallen sollte. „Das Zusammenspiel zwischen Fahrer und zunehmend intelligenten Systemen im Fahrzeug zu orchestrieren, ist eine der Riesenherausforderungen für die Zukunft“, sagt Hellmis mit Blick auf die Zukunft der Mobilität .