Frankfurt/Main. 16 Jahre nach dem Telekom-Börsengang rückt eine Entschädigung für die Kläger näher. Doch wann sie Geld sehen, steht noch nicht fest.

Normalerweise sind Verkündungstermine an Gerichten eine eher schnöde Angelegenheit. Sie finden oft im Büro des Richters statt, ohne Vorladung. Am Mittwoch aber wollte Rechtsanwalt Andreas Tilp am Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) unbedingt anwesend sein, um den erhofften Richterspruch auszukosten. Tatsächlich hatte Tilp nach der Verkündung Grund zu jubeln: „Es ist ein Sieg auf voller Linie.“

Seine Anwaltskanzlei vertritt die Kleinanleger in dem Mammutprozess gegen die Deutsche Telekom. Mehr als 16 Jahre nach dem dritten Börsengang des Dax-Unternehmens und zwölf Jahre nach dem ersten Prozess sind die T-Aktien-Käufer, die auf einen rasanten Kursverlauf der „Volksaktie“ gehofft hatten, einer Entschädigung einen großen Schritt näher.

Anleger fordern 200 Millionen Euro Schadenersatz

Rund 200 Millionen Euro Schadenersatz fordern die 17.000 Kläger von der Telekom. Auf diesen Betrag haben sich nach Ansicht der Anwälte die ehemals geforderten 80 Millionen Euro mittlerweile – einschließlich der seit 16 Jahren aufgelaufenen Zinsen – summiert.

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt entschied am Mittwoch in dem Musterverfahren, dass das Unternehmen einen schwerwiegenden Fehler im damaligen Verkaufsprospekt aus dem Jahr 2000 zu verantworten hat.

Im Kern geht es bei dem Streit um die damalige Beteiligung der Telekom an dem amerikanischen Mobilfunkanbieter Sprint. Im Verkaufsprospekt für den dritten Börsengang der Telekom im Jahr 2000 hatte das Unternehmen geschrieben, dass diese Beteiligung zum „Verkauf“ stehe. Tatsächlich wurde sie aber nur in eine Tochtergesellschaft verschoben. Wie es zu diesem „fehlerhaften“ Begriff „Verkauf“ gekommen sei, hätten die Telekom und ihre Anwälte „nicht widerspruchsfrei und nachvollziehbar“ belegen können, erklärten die Richter.

Die Aktionäre nahmen dies zum Anlass, die Telekom auf Schadenersatz zu verklagen. Denn die damit verbundenen Milliardenrisiken für das Unternehmen wurden erst später klar. Als der Bund im Jahr 2000 zum dritten Mal Telekom-Aktien aus seinem Bestand veräußerte, bezahlten Anleger regulär 66,50 Euro pro Aktie. Der Kurs brach deutlich ein und fiel bis September 2002 auf einen Tiefststand von 8,42 Euro.

Verfahren kann sich weitere eineinhalb Jahre ziehen

Bereits im Oktober 2014 stellte der Bundesgerichtshof (BGH) fest, dass der Verkaufsprospekt der Telekom einen Fehler enthielt. Das Musterverfahren wurde jedoch erneut nach Frankfurt zurückverwiesen. Das OLG sollte prüfen, ob die Telekom für den Fehler verantwortlich war (Verschulden) und ob dieser Fehler Einfluss auf die Anlegerentscheidung hatte (Kausalität).

Die Telekom will nun prüfen, ob sie Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) einlegt. Das würde das Verfahren nochmals um bis zu eineinhalb Jahre verlängern, schätzt Tilps Kanzleikollege Peter Gundermann.

Der Anwalt mahnte, die Telekom solle jetzt auf die Anleger zugehen und zahlen. Bisher habe man allerdings „kein Signal, dass die Telekom sich außergerichtlich einigen will“, sagte der Anwalt dieser Zeitung. Doch auch wenn der Bonner Konzern auf die Beschwerde beim BGH verzichten würde, würde die Entschädigung an die Kleinanleger nicht sofort fließen. Denn dann werden erst einmal die Einzelklagen, die bis jetzt zugunsten der beiden Musterklagen zurückgestellt worden waren, wieder aufgenommen. Die „Kausalität des Prospektfehlers“, sagten die Richter am OLG, müssten die Vorinstanzen nun „im Einzelfall prüfen“.

Soll heißen: Ob jeder einzelne Kläger wirklich den Verkaufsprospekt gelesen und seine Entscheidung für den Kauf der T-Aktie davon abhängig gemacht hatte und damit falsch informiert worden war, muss erst geprüft werden. Anschließend müsste individuell der Schaden berechnet werden.

Die Zeit aber drängt. Einer der beiden Musterkläger ist bereits verstorben. Und es könnte sein, dass weitere Kläger die Zahlungen nicht mehr erleben werden.

„Lex Telekom“ ermöglicht Musterverfahren

Dabei hofften die Beteiligten, dass mit der „Lex Telekom“ derlei Verfahren schneller zu Ende gebracht werden können. 2005 war das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) verabschiedet worden – ein Gesetz über eine Art Sammelklage für kapitalmarktrechtliche Prozesse. In ausgewählten Musterverfahren, in diesem Fall waren es zwei, werden Entscheidungen getroffen, die dann für alle angeschlossenen Klagen eine hohe „Bindungswirkung“ haben.

Tilp sieht einen großen Vorteil in der Regelung. „Ohne KapMuG wären die Telekom-Prozesse schon vor Jahren für die Kläger verloren gegangen.“ Im Vergleich zu den USA seien die deutschen Gesetze aber immer noch sehr anlegerfeindlich, weil den Anwälten weitgehende Ermittlungsbefugnisse fehlten. In den USA hatte die Telekom in derselben Sache einen Vergleich über 120 Millionen Dollar gezahlt, um einer Sammelklage zu entgehen.