Brüssel. Die EU akzeptiert die überhöhte Schuldenquote Italiens ­– Premier Renzi soll vor einem wichtigen Referendum nicht geschwächt werden.

Italien wird derzeit mit Samthandschuhen behandelt. „Keiner schaltet vor dem Referendum irgendetwas scharf“, sagt ein hochrangiger EU-Regierungsvertreter. Ob bei den Beratungen über den nächsten Haushalt oder den Länderzeugnissen für die nationale Haushaltpolitik – die EU-Staaten wollen offenbar alles vermeiden, was die Überlebenschancen von Matteo Renzi als italienischer Ministerpräsidenten schmälern könnte.

Wenn das von ihm anberaumte Referendum für eine weitreichende Verfassungsreform am 4. Dezember scheitert, könnte nämlich auch sein politisches Schicksal besiegelt sein. Es wäre nach dem Brexit-Votum und Trump-Schock eine weitere, schwer zu verkraftende Schlappe für das gemeinsame Haus Europa.

Italien schmerzt vor allem seine Geamtverschuldung

So zeigte die EU-Kommission Italien bei der alljährlichen Bewertung der Haushaltspläne der 18 Euro-Staaten am Mittwoch nur eine gelbe Karte: Italien wurde als Risikofall („risk of non-compliance“) eingestuft. Das bedeutet: Die von Rom eingereichte Budgetplanung für 2017 bietet nach Ansicht der Brüsseler Behörde keine hinreichende Gewähr, dass die Italiener absehbar auf den Weg der fiskalischen Tugend zurückkehren.

„Die Schuldenregel wird vermutlich weder 2016 noch 2017 eingehalten“, schreiben die Gutachter. Zwar soll das Haushaltsdefizit 2016 und 2017 mit je 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt/BIP) unter der Maastricht-Obergrenze von drei Prozent bleiben. Die Gesamtverschuldung Italiens klettert mit rund 133 Prozent des BIP jedoch exorbitant in die Höhe. Dies ist nach Griechenland die zweithöchste Schuldenquote in der EU. Maximal sind 60 Prozent des BIP erlaubt.

Italien fordert Ausnahmen wegen Erdbebenschäden

Renzi verweist auf Sonderbelastungen: Wegen des Flüchtlingsandrangs und der Serie von Erdbeben müsse sein Land von den Vorgaben stärker abweichen dürfen. Die Kommission bezweifelt die von Rom dazu eingereichten Zahlen, will aber trotzdem vorerst auf Druck – wie die Zurückweisung des Etats – verzichten. „Wir bleiben weiter im Gespräch“, sagte Finanzkommissar Pierre Moscovici. Als Nächstes sind die Finanzminister der Eurozone am Zug. Sie beraten am 5. Dezember über die Befunde der Kommission – einen Tag nach Renzis Schicksalswahl.

Moscovici bestritt, dass es sich hierbei um eine politisch motivierte Entscheidung gehandelt habe. „Die Kommission hält sich an die Regeln. Sie berücksichtigt die Flexibilität, die im Stabilitätspakt vorgesehen ist.“ Das habe man in der Vergangenheit so gemacht, als es um Strukturreformen und Investitionen ging. „Das machen wir jetzt in Bezug auf die Erdbeben und die Aufnahme von Flüchtlingen.“

Sorgen auch um das marode Bankenwesen

Markus Ferber, CSU-Finanzexperte im EU-Parlament, bezweifelt dies: „Wir brauchen nicht nur salbungsvolle Worte, sondern ganz konkretes Handeln der Kommission.“ Dazu gehöre, dass die Kommission den Stabilitäts- und Wachstumspakt zur Anwendung bringe. „Nur dann ist sie glaubwürdig.“ Nach Ansicht des Chefs der Euro-Arbeitsgruppe Thomas Wieser steckt die Kommission in einer „Mission Impossible“: „Das Regelwerk steckt voller Ausnahmen und ist nicht mehr überschaubar.“

Sorgenkind ist Italien auch wegen seines maroden Bankenwesens. Die Institute, die weltälteste Bank Monte Dei Paschi an der Spitze, schleppen dreistellige Milliardenbeträge fauler Kredite durch ihre Bilanzen, das Kapital flieht ins Ausland, die Banca Italia sitzt auf gewaltigen Verbindlichkeiten gegenüber dem Euro-System. „Ein Italexit scheint nicht mehr völlig ausgeschlossen“, warnt Mario Ohoven. Der Präsident des Mittelstandsverbands BVMW verweist auf die Einschätzung von Fachleuten, Italien sei dem Euro-Exit näher als Griechenland. „Ein Kollaps Italiens oder Griechenlands könnte Vorbote einer viel größeren Katastrophe sein.“