München. Der bisherige Verlegerpräsident Hubert Burda spricht im Interview über die Fehler seiner Branche – und wie man sie korrigieren kann.

Er wirkt so gar nicht wie ein Pensionär, und er will es auch nicht sein. Hubert Burda (76) möchte auch nach dem Ende seiner Amtszeit als Präsident der Zeitschriftenverleger kräftig mitmischen: vor allem in der Medienpolitik.

Herr Burda, Sie haben 20 Jahre an der Spitze des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger gestanden, in einer Phase fundamentaler Umwälzungen. Treten Sie zufrieden ab?

Hubert Burda: Ja, selbstverständlich. Der Verband ist sehr gut aufgestellt. Ich kenne in Europa die anderen Verlegerverbände, und keiner hat die digitale Veränderung so schnell wahrgenommen wie der VDZ. Man kann sicher sagen, dass wir die digitale Revolution verstanden haben.

Worauf führen Sie das zurück?

Burda: Ich habe den „Iconic Turn“ immer gesehen. Die Zeit, die den Buchdruck großgemacht hat, geht zu Ende, und die Dominanz der Schrift weicht der Vorherrschaft des Bildes. Die digitale Revolution verändert das Geschäftsmodell von Zeitungen und Zeitschriften. Es geht auch bei den klassischen Marken, die gesetzt sind – „Stern“, „Spiegel“, „Bunte“, „Focus“ –, um mehr als hohe Auflagen und viele Anzeigen. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle, die über das Netz und über Daten entstehen, und wir müssen nach neuen Modellen suchen, mit denen Medienunternehmen bestehen können.

Lässt sich der Niedergang der gedruckten Zeitschrift aufhalten?

Burda: Insgesamt bleiben die Auflagen doch sehr stabil, zum Beispiel bei den Programmzeitschriften. Fernsehen ist durch die Digitalisierung unübersichtlich geworden, und die Zeitschrift hat die Möglichkeit, einen Überblick zu geben. Auch People-Magazine funktionieren sehr gut, weil sich Menschen einfach für andere Menschen interessieren. Man sieht aber, dass die reinen Nachrichten ins Netz gegangen sind und der Markt von „Spiegel“ und „Focus“ sehr umkämpft ist.

In den USA erscheinen große Nachrichtenmagazine nur noch im Internet. Zeichnet das den Weg für deutsche Nachrichtenmagazine vor?

Burda: Ich fand immer, dass Online etwas ganz anderes ist als Print. Man ist schnell, und von Minute zu Minute verändert sich alles. Ich habe daher „Focus.de“ und „Focus Magazin“ auseinandergenommen. Hätte ich das zusammengelassen, wäre „Focus.de“ heute nicht eins der erfolgreichsten Nachrichtenportale im Netz. Ein Magazin hat einen vollkommen anderen Rhythmus, eine vollkommen andere Erzählform. Und genau deshalb glaube ich an die Zukunft der gedruckten Zeitschrift.

Ist langfristig Raum für beides – das Magazin und den Auftritt im Netz?

Burda: Selbstverständlich, und dafür gibt es ja gerade in Deutschland viele gute Beispiele. Nicht so sehr in den USA, die amerikanischen Verlage waren für mich in den wenigsten Fällen ein Vorbild. Das sind oft keine Familienunternehmen, sondern Aktiengesellschaften, in denen immer viel spekuliert wurde. Ich hatte oft das Gefühl, Boni und Vergütungen interessieren die Manager am meisten. Da bleiben Innovationen schnell auf der Strecke.

Ein Vorbild für mich ist aber Condé Nast, der den „New Yorker“ oder „Vogue“ hervorgebracht hat. Das ist der beste Zeitschriftenverlag der Welt. Ich sehe für die Zeitschriften viele Möglichkeiten, wenn sie sich mit dem Lifestyle der Menschen befassen. Der „Iconic Turn“ geht zum Lifestyle. Die Menschen interessieren sich dafür, wie andere Menschen wohnen, leben, kochen, arbeiten.

Über den Erfolg im Netz entscheiden auch marktprägende amerikanische Unternehmen. Haben Sie Angst vor Google?

Burda: Angst? Auf keinen Fall, ich kenne die beiden Jungs – Sergey Brin und Larry Page – ja seit Mitte der 90er-Jahre, als sie Anfang 20 waren. Beide haben mich immer fasziniert. Larry Page hat mit dem Pagerank-Algorithmus eine Software geschrieben, die einfach genial ist. Man konnte sich das damals nicht vorstellen. Wir hatten zu dem Zeitpunkt ja auch eine Suchmaschine, aber da waren es 20, 30 Redakteure, die ausgewertet haben – und kein Algorithmus.

Ich bin beiden zum ersten Mal in Davos begegnet. Larry Page hat nicht viel geredet und konnte auch mit meinen Fragen nicht so viel anfangen. Sergey Brin ist in Russland aufgewachsen und kannte Burda über unsere Modezeitschriften. Er musste immer die Pullover anziehen, die seine Mutter gestrickt hat. Er sagte, dass Burda für ihn nicht nur positiv besetzt sei, weil es ihn immer gejuckt habe. Mit Sergey Brin habe ich mich gut verstanden, und ich war in Deutschland der größte Promoter für Google. Ich war einfach hingerissen von den Möglichkeiten dieser Enzyklopädie.

Und heute?

Burda: Wir Verleger haben damals einen großen Fehler gemacht. Vielleicht, weil wir ja auch irgendwie machtbesessen sind. Wir wollten unsere Online-Portale unbedingt voranbringen, daher haben wir Google unsere Inhalte kostenfrei überlassen, um sichtbar zu sein und mehr Traffic zu bekommen. Ich habe auch bei Burda alle vorangetrieben: vorwärts, vorwärts, vorwärts!

Wir haben unsere Inhalte zu wenig selbst vermarktet, stattdessen macht Google mit der Vermarktung unserer Inhalte einen Milliardenumsatz, ohne uns zu vergüten – und zahlt obendrein kaum Steuern. Und wenn wir uns jetzt auf das Leistungsschutzrecht berufen und Geld von Google haben wollen, droht Google damit, uns aus den Suchergebnissen zu werfen. Google hat uns praktisch mattgesetzt. Und wir haben alle klein beigegeben.

Die grundsätzliche Weichenstellung zur Zeit der Jahrtausendwende, als wir begannen, Google unsere Inhalte kostenlos zu geben, war ein Fehler, für den ich als Verlegerpräsident mitverantwortlich bin. Man hätte früher erkennen können, dass dieses Modell vor allem Google nach vorn bringt – und uns in Schwierigkeiten.

Lässt sich das korrigieren?

Burda: Das muss über die europäische Politik in Brüssel laufen. Ich war in Gesprächen mit der EU-Kommission früher oft am Verzweifeln. Brüssel wollte lange Zeit einfach nicht sehen, dass alle digitalen Geschäftsmodelle in Europa von amerikanischen Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon und Apple abhängen. Die haben die Suchmaschinen, die Daten und den Zugang zu den Endgeräten. Was bleibt da übrig für uns? Uns allen ist klar, dass wir in Europa nur dann eine wettbewerbsfähige Digitalindustrie haben werden, wenn für alle Unternehmen die gleichen Regeln gelten.

Sie sind also ausgeliefert.

Burda: Brüssel hat erkannt, dass die europäische Strategie zu defensiv war. Hier hat Günther Oettinger viel bewegt, nicht erst seit er Digitalkommissar ist. Wir müssen Instrumente des Steuerrechts und des Kartellrechts einsetzen. Wenn wir jetzt nicht die Weichen stellen, bleiben wir ein kleiner Teilmarkt der amerikanischen Digital-Hegemonie. Auch wenn ich jetzt nicht mehr Verlegerpräsident bin, wird das meine Hauptaufgabe bleiben: der Politik klarzumachen, dass wir in Europa einen gemeinsamen Plan brauchen. Viele Politiker sind so weit weg von den Herausforderungen unserer Industrie in Deutschland.

Vor welchen besonderen Herausforderungen sehen Sie Ihren Nachfolger?

Burda: Die amerikanische Digital-Hegemonie und die europäische Antwort darauf – das ist das große Thema. Stephan Holthoff-Pförtner ist Miteigentümer von Funke und kennt sich in der Politik sehr gut aus. Er wird deutlich machen, was auf dem Spiel steht. Die europäische Wirtschaft kommt sonst in eine Sackgasse.

Im Verband hat es Kritik an der Nominierung des neuen Präsidenten gegeben. Können Sie das nachvollziehen?

Burda: Ich habe das nicht so genau verfolgt. Der VDZ ist ein kraftvoller Verband, und die Funke-Gruppe hat sich in den vergangenen Jahren – auch durch den Kauf der Springer-Zeitschriften – zum größten Zeitschriftenverlag im VDZ entwickelt. Ich freue mich, dass dieses große Unternehmen mit dem Präsidentenamt nun noch mehr Verantwortung für unsere Branche übernehmen wird. Es ist wichtig, dass der Verband weiter vorwärtsgeht.

Wie sehen Ihre persönlichen Pläne aus? Nehmen Sie sich mehr Zeit für die Kunst – und für die Familie?

Burda: Ich bin als Verleger auf die Welt gekommen, und es gibt auch keinen schöneren Beruf. Ich gehe oft 20 Minuten früher zum Flughafen als nötig, damit ich beobachten kann, was die Leute lesen und kaufen. Als Verleger muss man immer ganz nah am Puls sein. Das wird sich bei mir nicht ändern. Die Kunst hat ihren Stellenwert, das interessiert mich schon. Aber mein Interesse für das, was jeden Tag geschieht, was die Menschen bewegt, ist größer. Ich stehe immer ein bisschen unter Strom. Das hält auch unglaublich jung.