Washington/San Francisco. US-Richter Breyer stimmt dem Milliarden-Vergleich zwischen VW und Besitzern von Zwei-Liter-Autos zu. VW drohen weitere Forderungen.

15 Monate nach Bekanntwerden des Betrugs mit Diesel-Abgasen hat Volkswagen in Amerika die erste belastbare Quittung erhalten: 16,5 Milliarden Dollar (rund 15,2 Milliarden Euro). So viel kostet der Vergleich zwischen VW, der US-Regierung, Umweltbehörden und der Mehrheit von rund 480.000 Besitzern von Diesel-Autos mit Zwei-Liter-Motoren, dem Richter Charles Breyer am Dienstag in San Francisco offiziell zugestimmt hat. Damit ist aber nur eine „Baustelle“ erledigt. Weitere Zahlungen drohen. Die Endabrechnung tendiert in Richtung 20 Milliarden Dollar.

Breyer hatte seine Zustimmung bereits bei einer Anhörung vor einer Woche durchblicken lassen. Damals vorgebrachte Einwände wies der Jurist gestern ab. Der erreichte Deal sei „fair, angemessen und adäquat“. Dutzende VW-Besitzer, die den Wolfsburger Konzern noch stärker zur Kasse bitten wollten, bleiben damit unberücksichtigt.

40 Mal höherer Stickoxid-Ausstoß

Der Vergleich sieht vor, dass VW für die Schädigung der Umwelt durch Stickoxide rund fünf Milliarden Dollar in einen Umweltfonds sowie in einen Sondertopf zur Förderung von Elektro-Autos stecken muss. Hintergrund: Durch den Einsatz einer verbotenen Software bei der Abgaskontrolle hatten VW-Diesel in den USA bis zu 40 Mal mehr Stickoxide ausgestoßen als erlaubt.

Der Löwenanteil des Vergleichs – zehn Milliarden Dollar – fließt an die Besitzer der manipulierten Diesel-Pkw. Die Autos müssen nun so repariert werden, dass sie den strengen Umweltbestimmungen in den USA entsprechen. Oder sie werden von VW je nach Baujahr und Tachostand zum Listenwert im September 2015 zurückgekauft. Pro Auto sind dazu noch „Schmerzensgelder“ bis zu 10.000 Dollar vorgesehen.

345.000 VW-Besitzer stimmten Deal zu

Nach Angaben von Elisabeth Cabraser, die als Chef-Anwältin für Tausende Sammelkläger fungiert, und VW-Rechtsvertreter Robert Giuffra haben bisher rund 345.000 VW-Besitzer dem Deal zugestimmt. 50.000 kommen aus Kalifornien. Dort nahm die Aufdeckung des Skandals im September 2015 durch Veröffentlichungen der Umweltbehörde Carb seinen Anfang. Laut Cabraser haben bisher rund 3500 VW-Eigentümer das Angebot abgelehnt. Die Juristin geht davon aus, dass bis Ende der Teilnahmefrist im September 2018 die „allermeisten“ Zwei-Liter-Auto-Eigentümer noch der Vereinbarung beitreten werden.

Der US-Richter Charles Breyer ist eine zentrale Figur im VW-Abgasskandal. Dem Vergleich zwischen dem Autokonzern und Besitzern von Diesel-Autos mit Zwei-Liter-Motor stimmte er am Dienstag offiziell zu.
Der US-Richter Charles Breyer ist eine zentrale Figur im VW-Abgasskandal. Dem Vergleich zwischen dem Autokonzern und Besitzern von Diesel-Autos mit Zwei-Liter-Motor stimmte er am Dienstag offiziell zu. © dpa | U.S. Government

Hätte Breyer den Einsprüchen stattgegeben, hätte VW erneut in die Verhandlungen einsteigen müssen. Folge: Zeitverlust und noch höhere Schadenssummen. Allein die an der Sammelklage beteiligten US-Juristen wurden von VW zuletzt mit rund 175 Millionen Dollar entlohnt.

Immer mehr US-Bundesstaaten wollen VW zur Kasse bitten

Gelöst sind damit aber nur die Probleme mit Zwei-Liter-Dieselautos. Für rund 90.000 Oberklasse-Wagen der Marken VW, Audi und Porsche mit Drei-Liter-Antrieb gibt es noch kein Rezept. Richter Breyer will sie ebenfalls so schnell wie möglich von der Straße holen, weil sie „die Umwelt verpesten“. Am 3. November wird erstmals in einer Anhörung erkennbar, ob ein dazu frisch eingereichtes Konzept von VW zustimmungsfähig ist. Klar ist: Die Rückkauf-Option wird hier für die betroffenen VW-Marken deutlich teurer. Experten gehen von rund einer Milliarde Dollar aus.

Losgelöst davon wollen immer mehr US-Bundesstaaten VW für den Verstoß gegen Luftreinhaltegesetze zur Kasse bitten. Mit Missouri haben sich inzwischen die Gouverneure von 17 Bundesstaaten auf den Klageweg begeben. Hier betritt VW neues Terrain. Je nach Zahl der VW-Eigner (Missouri kommt auf rund 8000) wird errechnet, wie viele Tonnen Stickoxide durch VW-Dieselautos in die Atmosphäre gelangt sind.

VW drohen auch strafrechtliche Konsequenzen

Welche Schadenssummen daraus abgeleitet werden, ist ungewiss. Bisher hatte VW rund 600 Millionen Dollar einkalkuliert. Nach Worten von VW-Chef Matthias Müller soll dazu im November ein gesondertes Vergleichsverfahren beginnen. US-Autoexperten mutmaßen, dass sich die Landespolitiker vor dem Hintergrund des Präsidentschaftswahlkampfs als „besonders unnachgiebig“ präsentieren. Um darüber hinaus die 650 betroffenen VW-Händler in Amerika bei Laune zu halten, hat VW rund 1,2 Milliarden Dollar Kompensation bewilligt.

Nicht berücksichtigt sind bisher wahrscheinliche strafrechtliche Konsequenzen. Das Justizministerium in Washington ermittelt intensiv gegen VW. Es geht um den Vorwurf der betrügerischen Verschwörung und der Missachtung der Bundesumweltgesetze.

VW-Ingenieur als Kronzeuge

James Liang, ein VW-Ingenieur in Kalifornien, hat sich den Behörden als Kronzeuge für den Betrug mit Dieselabgasen zur Verfügung gestellt. Liang hat dem Vernehmen nach eingeräumt, mit welcher Akribie VW die US-Behörden über Jahre getäuscht habe. Er muss im Januar mit einer Verurteilung rechnen. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. Ob Liang VW-Manager bis in die Vorstandsebene um Müller oder dessen Vorgänger Martin Winterkorn als Mitwisser belastet hat, ist nicht bekannt.