Berlin. Fachkräftemangel und fehlende Breitbandversorgung erschweren die Digitalisierung der Unternehmen – vor allem bei den Mittelständlern.

Wolfgang Grupp, Eigentümer des Textilunternehmens Trigema, ist einer der bekanntesten Mittelständler des Landes. In einigen seiner Werbespots taucht ein Schimpanse auf. Der Unternehmer selbst sitzt häufig in Talkshows. Bevorzugte Themen: Hartz IV, Gewerkschaften, Arbeitsplätze. Als Streiter für die Digitalisierung trat der 74-Jährige noch nicht in Erscheinung. Das wäre auch wenig glaubwürdig, denn auf Grupps Schreibtisch steht nicht mal ein Computer. Seine Dispositionsliste ist ein Stapel Endlospapier.

Man kann Grupps Marotten belächeln. Die Ergebnisse des Monitoring-Reports „Wirtschaft Digital 2016“ des Bundeswirtschaftsministeriums legen aber nahe, dass viele mittelständische Unternehmen hierzulande Aufträge nach althergebrachter Weise bewältigen. Die Digitalisierung ist im Mittelstand zwar angekommen, dümpelt aber auf niedrigem Niveau.

Logistiker und Fahrzeugbauer schneiden schlecht ab

„Unsere erstmalige Analyse des Digitalisierungsfortschritts nach Unternehmensgrößenklassen weist deutlichen Nachholbedarf für den Mittelstand aus“, schreibt Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, im Grußwort zur Studie. Deutschland könne nur zukunftsfähig und erfolgreich bleiben, wenn mittelständische Unternehmen die Chancen der Digitalisierung nutzen.

Der Report misst den digitalen Entwicklungsstand der Wirtschaft anhand einer repräsentativen Befragung deutscher Unternehmen. Ein Indexwert zeigt an, welche Bereiche in den Unternehmen schon angepasst wurden. Etwa, ob die Firma ihre Daten dezentral über das Internet erreichbar verwaltet. Wenig überraschend ist, dass IT-Firmen das Ranking mit 75 Indexpunkten anführen. Im Mittelfeld tummeln sich Finanz- und Versicherungswirtschaft, Handel sowie Energie- und Wasserversorgung. Maschinenbau, Chemie und Pharma stehen schlechter da, aber noch vor Verkehr, Logistik und dem Fahrzeugbau.

Auch im Gesundheitswesen wird wenig digitalisiert

„Niedrig“ digitalisiert sind die Schlusslichter des Rankings: das Gesundheitswesen und sonstige Industriebetriebe. „Diese Feststellung gilt leider allgemein für den industriellen Mittelstand in Deutschland, das ist auch dem Wirtschaftsministerium seit Jahren bekannt“, klagt Matthias Wahl, Präsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW).

Bei den Ergebnissen fällt auf, dass Dienstleistungsunternehmen besonders stark digitalisiert sind. Während Kleinstbetriebe erstaunlicherweise mehr IT einsetzen als Großkonzerne, liegt der Mittelstand unter dem Durchschnitt. Ein Befund, den auch der Mittelstandsfinanzierer KfW in einer im August veröffentlichten Studie teilt. „Die mittelständische Wirtschaft schöpft das Potenzial der Digitalisierung bisher bei Weitem noch nicht aus“, sagte Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe, bei deren Vorstellung.

Die Ignoranz der Firmen ist existenzgefährdend

Die Ergebnisse des Monitoring-Reports kommentiert er so: „Schnellere Internetverbindungen und mehr e-Government würden zu mehr Effizienz der deutschen Volkswirtschaft beitragen. Die mittelständischen Unternehmen müssen sich vor allem noch mehr als bisher um IT-Kompetenzen bemühen und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten für sich entdecken.“

Wenn sie denn wollen. „Man hört leider noch oft die Aussage: Die Digitalisierung betrifft mich nicht“, sagt Wahl. Dabei könne man in diesem Zusammenhang gar nicht mehr von Vorteilen sprechen; die Digitalisierung sei schlicht eine Notwendigkeit für den Mittelstand. „Es ist wirklich dringend, das zu verstehen“, sagt Wahl. „Wer das nicht schafft, der gefährdet schlicht und einfach die Existenz seines Unternehmens.“

Breitbandnutzung bisher mangelhaft

Umso bedenklicher, dass sich der deutsche Mittelstand noch in einer frühen Phase der Digitalisierung befindet. Zwar haben laut KfW vier von fünf kleinen und mittleren Unternehmen in den zurückliegenden drei Jahren Digitalisierungsprojekte umgesetzt und in neue Technologien oder Verbesserung der IT-Kompetenz investiert. Die Vorhaben seien jedoch unterfinanziert. Nur knapp die Hälfte der großen Mittelständler mit 150 und mehr Beschäftigten gäben über 100.000 Euro im Jahr dafür aus.

Der Monitoring-Report benennt den hohen Investitionsbedarf als zweitgrößte Hürde für den digitalen Wirtschaftswandel. Ein noch bedeutsameres Hemmnis sei aber die Unterversorgung mit Breitband, die 40 Prozent der befragten Unternehmen beklagten. „Breitband anzubieten ist das eine, Breitband zu nutzen das andere“, sagt Markus Humpert, Bereichsleiter Digitale Transformation beim Digitalverband Bitkom. Unternehmer müssten die Chancen breitbandiger Kommunikation zunächst erkennen und schließlich auch konsequent nutzen.

Viele haben neue Spielregeln noch nicht verstanden

Als weitere Erschwernisse der Digitalisierung erwähnt die Studie den zu hohen Zeitaufwand, das Fehlen verlässlicher Standards sowie Datenschutz- und Datensicherheitsfragen. „Eine entscheidende Hürde ist weiterhin das oft noch fehlende Verständnis der neuen Spielregeln in der Digitalwirtschaft“, sagt Humpert. „Wir empfehlen, offen auf Start-ups und andere Akteure der Digitalwirtschaft zuzugehen.“ Eine Barriere stellt für ein Drittel der befragten Klein- und Mittelständler der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal dar.