New York. Der frühere VW-Chef Martin Winterkorn will von der Motor-Manipulation nichts gewusst haben. Ein Bericht lässt daran nun stark zweifeln.

Als Martin Winterkorn am 23. September 2015 kurz nach Bekanntwerden des Diesel-Abgas-Skandals in Amerika als Vorstandschef von Volkswagen zurücktrat, tat er dies nicht ohne sich selbst eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen. Weder habe er von den illegalen Motor-Manipulationen gewusst, noch sei er sich „eigenen Fehlverhaltens bewusst“, erklärte der mit zweistelligen Millionen-Jahresgehältern entlohnte Konzern-Boss. Zweifel an dieser Darstellung gibt es seit Tag 1.

Ein Papier aus dem Fundus der mit den Aufräumarbeiten betrauten US-Anwaltskanzlei Jones Day, die eng mit den US-Justizbehörden zusammenarbeiten muss, verschärft den Eindruck. Winterkorn hat demnach die Aufklärung des Skandals gegenüber den US-Umweltbehörden hintertrieben.

Bewusstes Vorenthalten von Informationen

Wie die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf Aktennotizen von Jones Day berichtet, soll Winterkorn im Juli 2015 abgenickt haben, dass VW-Verantwortliche den zuständigen Direktor der kalifornischen Umweltbehörde Carb, Alberto Ayala, über die Verwendung einer illegalen Software zur Regelung des Abgasausstoßes bewusst im Unklaren ließen.

Der von VW damals als „Feuerwehrmann“ in der Angelegenheit eingesetzte Konzernveteran Bernd Gottweis soll diese Vorgehensweise am 6. August in einer offiziellen Notiz bestätigt haben. Tenor: VW hat mit Zustimmung Winterkorns nur zugegeben, dass die Dieselmotoren nicht den gesetzlichen Bestimmungen in Kalifornien entsprechen und mit „Wohlwollen“ der US-Behörden Nachbesserung zugesichert.

Ein großangelegter Betrug

Von „Wohlwollen“ konnte nach Informationen dieser Redaktion im Sommer vergangenen Jahres aber längst keine Rede mehr sein. „VW hat unsere Nerven damals arg strapaziert“, sagte ein Carb-Experte im vergangenen Jahr, „wir wussten, dass sie uns an der Nase herumführen. Wir wollten, dass sie es endlich zugeben.“

Keine sechs Wochen nach dem Gespräch mit Ayala platzte die Bombe. Die US-Behörden bezichtigten VW am 18. September eines groß angelegten Betruges – und Volkswagen gab sich öffentlich zerknirscht als reuiger Sünder. „We totally screwed up“, sagte der damalige Amerika-Chef Michael Horn. Übersetzt: „Wir haben es total versaut.“

Winterkorn hatte früh Kenntnis

Ob Winterkorn die Verschleierung gegenüber Carb persönlich angeordnet hat, ist schriftlich nicht belegt. Er selbst sagte „Bild am Sonntag“ zufolge bei den Anwälten von Jones Day aus, er habe seinerzeit – im Juli 2015 – nicht erfasst, dass es sich um Betrug handelte; andernfalls hätte er „eingegriffen“.

Mit dem Diesel-Skandal vertraute Insider in den USA finden die Darstellung „befremdlich“. Hintergrund: Bereits im Mai 2014 unterrichteten Gottweis, Fachmann für Produktsicherheit, und Frank Tuch, seinerzeit oberster Qualitätsschützer bei VW, Winterkorn über viel zu hohe Stickoxid-Werte bei den Diesel-Motoren in Amerika. Man müsse davon ausgehen, dass die US-Behörden nachprüfen werden, ob VW in der Software eine Abschalt-Einrichtung installiert hat, die auf dem Prüfstand Abgas-Messungen ermöglicht, die im Realbetrieb entschieden höher sind.

Die große Rückruf-Aktion

Ergebnis: Es kam Ende 2014 zu einem von Wolfsburg autorisierten großen Rückruf in den USA. Dabei wurden die Diesel-Motoren allerdings nur halbherzig mit den strengen Umweltbestimmungen in Kalifornien in Einklang gebracht; der Abgasausstoß war danach immer noch 15 Mal höher als erlaubt.

Carb-Experten gehen darum davon aus, dass Winterkorn und andere Vorstandsmitglieder bei VW bereits eineinhalb Jahre vor dem offiziellen Bekanntwerden des Skandals „kontinuierlich über den problematischen Stand der Verhandlungen informiert gewesen sein müssen“. Winterkorn schweigt zu den Vorwürfen bisher, VW auch – mit einer Einschränkung.

20 Millionen Blatt Ermittlungsakten

Um zu verhindern, dass die US-Ermittlungsakten im VW-Skandal – inzwischen knapp 20 Millionen Blatt – auch vor deutschen oder anderen Gerichten Europas eingesetzt werden, haben Anwälte des Konzerns beim zuständigen Richter Charles Breyer in San Francisco Einspruch eingelegt.

Man fürchtet, dass im Zuge der Amtshilfe unliebsame Details laufende Zivilklagen und andere juristische Verfahren gegen VW in Europa beflügeln könnten. Dem Verfahren schließen sich Bosch, als Lieferant der Schummel-Software, und die VW-Tochter Audi an, die ebenfalls in der Diesel-Affäre immer stärker ins Zwielicht gerät.