Berlin. Der Smartwatch-Markt kommt nicht richtig in Gang. Apple und Samsung bringen neue Geräte. Aber läuft die Entwicklung am Kunden vorbei?

Schneller Prozessor, helles Display. Dazu ein GPS-Modul, das die Messung eines Lauftrainings ohne zusätzliches Smartphone erlaubt – mit der Apple Watch Series 2 will der US-Technologiekonzern die Produktkategorie der Computeruhren neu beleben. Die wasserdichte Uhr ist zum Schwimmen geeignet, Spielernaturen dürfen jetzt auch mit ihrer Smartwatch mit Pokémon Go auf Monsterjagd gehen. Apple ist im Zugzwang, denn Konkurrent Samsung hatte bereits kurz zuvor in einer pompösen Show im Berliner Tempodrom sein
neues Smartwatch-Modell Gear S3 vorgestellt.

Das Getrommel ist verständlich, denn bislang sind die Geräte beim Verbraucher noch kein großer Hit. In Deutschland gingen 2015 lediglich rund 645.000 Exemplare über die Ladentheke, wie die Forscher des Gfk-Instituts schätzen. Weltweit wurden im zweiten Quartal 2016 sogar deutlich weniger Smartwatches verkauft als im gleichen Zeitraum 2015. Dem Marktforschungsunternehmen IDC zufolge sank die Zahl der abgesetzten Uhren von insgesamt 5,1 auf 3,5 Millionen – ein Rückgang von 32 Prozent.

Noch zu teuer für das, was sie bieten

Beim Marktführer Apple gingen die Verkaufszahlen im Quartal mit 55 Prozent besonders stark zurück. „Eine solche Marktschwäche kann mit der Erwartung an ein neues Apple-Watch-Gerät verbunden sein“, sagt Olexiy Khabyuk, Professor für Wirtschaftswissenschaften, Kommunikation und Multimedia an der Hochschule Düsseldorf. „Andererseits ist es möglich, dass der Nettonutzen des Produkts für den durchschnittlichen Verbraucher und die daraus abgeleitete Zahlungsbereitschaft nicht hoch genug sind.“ Kurz: Smartwatches sind noch zu teuer für das, was sie bieten.

Ein Zusatzbildschirm im stetigen Blickfeld mit ein paar neuen Sensoren, das haue den durchschnittlichen Konsumenten nicht unbedingt um, sagt Khabyuk. So bleibt es zunächst bei einem Nischenprodukt für technologieaffine Early Adopter, die immer zuerst dabei sind, Fitness-Bewusste und „Heavy Mobile Nutzer“, die eine ständige Erreichbarkeit anstreben – und gern auch zeigen. Wenn möglich, mit dem jeweils neuesten Modell.

„Für die meisten Kunden ist das ein Rohrkrepierer“

„Die neue Uhr von Apple ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch kein Must-have-Gerät“ sagt Ramon T. Llamas, eines, das man zwingend haben muss. Der Marktbeobachter bei IDC lobt das eingebaute GPS, die Wasserbeständigkeit und den besseren Prozessor. Doch: „Um voll funktionsfähig zu sein, braucht die Uhr immer noch ein iPhone.“

Diese Abhängigkeit war es, die viele Kunden bisher abschreckte, sich eine Computeruhr zuzulegen. Hinzu kamen Llamas zufolge die wenig ästhetische Formgebung der Geräte, der zu hohe Preis und die Konkurrenz durch Fitnessarmbänder. Durch ihre geringe Akkulaufzeit können Smartwatches zudem nicht mit gewöhnlichen Uhren konkurrieren. „Für die meisten Kunden ist das ein Rohrkrepierer“, glaubt Llamas.

Samsung versucht Angriff auf Marktführer Apple

Es sei nicht hinnehmbar, dass eine Computeruhr nach einem Tag wieder aufgeladen werden müsse, sagt er. Drei bis fünf Tage Laufzeit müssten es seiner Einschätzung nach sein. „Für die technikaffine Generation der Digital Natives mit ihren Laptops und Smartphones fällt dieser Nachteil nur marginal ins Gewicht“, glaubt dagegen Khabyuk. Das Aufladen vieler Geräte gehöre bei dieser Klientel ohnehin zum gewohnten Tagesablauf.

Dennoch bleibt die längere Laufzeit ein Pfund, mit dem Samsung mit seiner neuen Smartwatch Gear S3 wuchert. „Das Ding sieht wie eine richtige Uhr aus, hat eine akzeptable Akkulaufzeit und verfügt über ein Mobilfunkmodul, das eine Nutzung ohne gekoppeltem Smartphone erlaubt“, sagt Llamas. Dennoch lägen die Koreaner mit 0,6 Millionen weltweiten Auslieferungen im zweiten Quartal noch weit hinter den 1,6 Millionen von Apple zurück. Jeweils die Hälfte verkauften im Vergleichszeitraum die Konkurrenten Lenovo (China) und LG (Südkorea).

Traditionelle Uhrhersteller halten sich zurück

Der jüngste Einbruch bei den Smartwatch-Verkäufen ist nicht dazu angetan, die angestammte Uhrenindustrie für das Segment zu begeistern. „Bei den traditionellen
Uhrenmarken heißt das Motto derzeit noch: Abwarten und Tee trinken“, sagt Llamas. „Sie sehen genau hin, ob Smartwatches sich am Markt behaupten können oder ein vorübergehendes Phänomen bleiben.“

Die generelle Skepsis habe allerdings Traditionsunternehmen wie Fossil und Tag Heuer nicht am Markteintritt gehindert, glaubt Llamas. Andere Unternehmen hätten Partnerschaften gebildet. Die Teilnahme traditioneller Uhrenhersteller am Smartwatch-Markt ist dem Marktbeobachter zufolge wünschenswert, weil diese bei Design, Passform und Funktionalität von
Uhren jahrzehntelange Erfahrungen mitbrächten, die auch einer Smartwatch zugute kommen könnten.

Der Marktführer hat große Probleme

Derzeit hängt das Wohl und Wehe des Smartwatch-Marktes an einem Marktführer, der Wachstumsschmerzen hat. „Wenn Apple es schafft, ein Produkt mit neuen Merkmalen und einem höheren Nutzen auf den Markt zu bringen, könnte das eine Welle von Neukäufern auslösen“, glaubt Wirtschaftswissenschaftler Khabyuk. Das neue, gerade vorgestellte Modell löse diese Hoffnung noch nicht ein.

„Trotz der Nachbesserung bei der Rechenleistung und der Unterstützung von Sportaktivitäten sehe ich den höheren Nutzen für den durchschnittlichen Kunden derzeit nicht erfüllt“, sagt Khabyuk. Fitnessbegeisterte Apple-Nutzer würden wohl dennoch zugreifen.

IDC-Mann Llamas ist weniger optimistisch. „Viele Apple-Fans vermeiden die Tücken der ersten Produktgeneration und steigen erst in den folgenden ein.“ Einen Boom der Geräte erwartet der Marktforscher aber erst, wenn einige radikale Veränderungen auf mehreren Ebenen stattfinden. Er selbst will auf die dritte oder vierte Generation der Uhr warten.