Berlin. Trends aus den USA beleben auch den behäbigen deutschen Biermarkt. Die Zahl der Brauereien steigt stetig. Die Freude am Genuss auch.

Herrliches Spätsommerwetter, der Biergarten am Berliner Gleisdreieck ist dieser Tage sehr gut besetzt. Und bald gibt es Bier ganz frisch aus dem Braukessel:Das kleine Unternehmen BRLO will noch im September eine temporäre Biermanufaktur in Betrieb nehmen. Helles und Berliner Weiße sollen gebraut werden, und auch die exotischeren Sorten, zumindest für den deutschen Geschmack: Indian Pale Ale etwa und Porter.

BRLO, benannt nach der alten slawischen Wortherkunft von „Berlin“, ist nicht allein, überall in Deutschland entstehen neue, kleine Brauereien und beleben eine Branche, die bisher vor allem von Massenware lebt – und daran auch leidet.

Weltweiter Bierkonsum sinkt

Denn es wird weniger Bier gekauft. 2014 und 2015 sank die weltweit gebraute Menge erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Und auch in Deutschland lässt der Bierdurst seit den 80er-Jahren kontinuierlich nach, wenn auch langsam. Doch kleine Spezialisten reüssieren, gerade in Deutschland. Holger Eichele, Geschäftsführer des Brauerbundes, beobachtet, dass die Zahl der Brauereien steigt – auf nun rund 1400. Er spricht von einer „wahren Renaissance“ des Brauens hierzulande.

Getrieben wird der Aufschwung und die neue Vielfältigkeit vor allem vom sogenannten Craft Beer (etwa: Kunsthandwerk-Bier), einem Trend, der in den USA seinen Anfang nahm. Hinter dem Begriff stehen kleine Spezialbrauereien, die experimentieren. In den USA war das lange aus rechtlichen Gründen kaum möglich, es gab bis in die 80er-Jahre quasi nur noch große Biermarken. 1978 erlaubte eine Gesetzesänderung die Heimproduktion, seither nimmt die Vielfalt wieder zu. Geschätzt mehr als 4000 Brauereien gibt es in den USA.

Berlin als Silicon Valley des Bieres

Der Trend hat zunächst die großen deutschen Städte, allen voran Berlin, in den vergangenen Jahren erfasst. Der Brauerbund hat 2015 allein in Berlin und Brandenburg acht neue Brauereien gezählt. Auch in Städten wie Hamburg und München hat sich die Szene ausgebreitet. Fabian Beckmann, Barchef in der Berliner Craft-Beer-Bar „Hopfenreich“ sagt: „Wir haben dieses Jahr nach meiner Zählung elf Craft-Beer-Events in Berlin, vor drei Jahren war es einer.“ Das Geschäft laufe sehr gut.

20 bis 30 Craft-Beer-Bars gibt es nach Schätzungen der Branche in Berlin, je nachdem wie eng der Begriff gefasst wird. Und es werden mehr. Zu den neuen Brauereien kommen noch die sogenannten Gipsy Brewer, die Zigeunerbrauer der Szene. Sie werden eingeladen oder mieten sich temporär in einer nicht ausgelasteten Brauerei ein, um dort die Kessel zu nutzen und schnell eigenes Bier zu produzieren. Auch BRLO geht zum Teil so vor.

Hopfenanbauer freuen sich über Experimentierfreudigkeit

Gebraut wird vielfach nach ganz traditionellen Bierrezepten – Klassiker wie untergäriges Pils, aber oft auch obergärige Sorten, wie Porter oder Pale Ale. Es wird aber auch experimentiert, bei Zubereitung und Zutaten. Besonders wichtig dabei ist Hopfen, den es in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen gibt. Die Hopfenanbauer freuen sich über die Nachfrage und ziehen mit. Die Zahl der Hopfensorten hat sich seit 2012 von 180 auf 250 erhöht.

Die Mengen, die die Kunsthandwerksbrauer herstellen, sind häufig klein. Mit wenigen Hunderttausend Litern Produktion pro Jahr gehört man schon zu den Großen in Deutschland. Die Radeberger-Gruppe, Tochterunternehmen des Oettker-Konzerns und Marktführer hierzulande, schafft mehr als eine Milliarde Liter pro Jahr. Einige US-Craft-Brewer können es vom Volumen jedoch inzwischen mit den mittelgroßen traditionellen Brauereien aufnehmen. Der Marktanteil bewegt sich dort bei etwa zehn Prozent.

6000 Biermarken gibt es in Deutschland

In Deutschland hingegen macht Craft Beer gerade einmal ein Prozent des Bierabsatzes aus, wie der Brauerbund schätzt. Anders als in den USA gibt es hierzulande noch immer eine vielfältige, regional fest verwurzelte und auch erfolgreiche Brauereilandschaft. Etwa 6000 Biermarken gibt es in Deutschland, auch vor dem Trend zu Mikrobrauereien waren es nicht viel weniger. Manche Regionen, etwa Franken in Bayern, haben schon immer eine enorme Vielfalt zu bieten. An solchen Orten verschwimmen inzwischen Craft-Beer-Szene und traditionelles Brauhandwerk, man lernt voneinander.

Deutsche Reinheitsgebot nur selten ein Problem

Stört das deutsche Reinheitsgebot beim Experimentieren? Aus der Szene wird berichtet, dass das Problem viel kleiner ist, als es von außen manchmal wahrgenommen wird. Ein Großteil der Craft-Biere entspricht sowieso den Anforderungen. Soll es doch einmal etwas ungewöhnlicher zugehen, vielleicht mit einem Himbeer-Bier nach belgischem Vorbild, gibt es aber auch kaum Probleme. Schlimmstenfalls druckt man eben „Bierspezialität“ statt „Bier“ auf die Etiketten. Nur in Bayern wird die Einhaltung des Reinheitsgebots wirklich hart verfolgt, dort gibt es auch Gerichtsverfahren.

Das wohl größte Problem der Craft-Beer-Szene: In viele normale Kneipen, Restaurants und Gaststätten kommen die Brauer mit ihren Produkten kaum hinein, weil es langjährige Exklusivverträge mit Großbrauereien gibt, die zum Beispiel dafür das Mobiliar mitfinanzieren. „Mit Flaschenbier geht es, aber es ist schwer, an die Hähne zu kommen“, sagt Maximilian Marner, Geschäftsführer des Brausturm Bierverlags aus Hamburg, nach eigenen Angaben Deutschlands größter Craft-Beer-Großhändler.

Das Spezialistentum erobert sich den Markt

Dass es sich beim Craft-Bier nur um einen kurzfristigen Modetrend handelt, glaubt kaum jemand in der Szene. Marner erwartet, dass es beim Bier ähnlich laufen könnte wie beim Kaffee oder bei Schokolade. Lange war man mit Standardsorten zufrieden, doch das Spezialistentum und die Liebhaberei haben sich einen erheblichen Marktanteil erobert. Die Craft-Beer-Szene breite sich immer weiter aus, auch jenseits der großen Metropolen. „Wir bleiben, dauerhaft“, sagt Marner.