Berlin. Ein Drittel der Lehrlinge berichtet im aktuellen Ausbildungsreport von Überstunden. Jeder zweite wertet die Situation als belastend.

Hoher Leistungsdruck, lange Fahrtzeiten, ständige Erreichbarkeit, dazu lange Schichten oder Probleme mit den Kollegen oder Chefs. Jeder zweite Auszubildende empfindet die Situation in seinem Betrieb als „stark belastend“. Bei einem Drittel zählen Überstunden zum Alltag. Jeder Vierte hat Probleme, sich nach Feierabend in der Freizeit zu erholen. Und obwohl sich viele erschöpft fühlen, schleppen sich dennoch gut 60 Prozent der Auszubildenden auch dann zum Job, wenn sie krank sind. Dies sind die Ergebnisse des aktuellen Ausbildungsreports des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), für den 13.603 Azubis befragt wurden.

Die Gewerkschaft sieht wegen der zunehmenden Belastung dringenden Handlungsbedarf. „Es ist ein Armutszeugnis, wenn Druck, Stress und schlechte Ausbildungsbedingungen für sehr viele junge Menschen schon am Anfang ihres Arbeitslebens stehen“, kritisierte der DGB-Jugendsekretär Florian Haggenmiller. Vielmehr müsse die Ausbildungsqualität generell verbessert werden. „Sonst fährt das duale Ausbildungssystem, das jahrzehntelang Garant für gute Fachkräfte war, an die Wand.“

71,7 Prozent mit Qualität ihrer Ausbildung zufrieden

Konkret fordert der Gewerkschafter eine Anpassung des Berufsbildungsgesetzes. Jeder Auszubildende müsse einen rechtlichen Anspruch auf einen betrieblichen Ausbildungsplan erhalten, der die Inhalte konkret festlegt. Laut Studie fehlt dieser bei jedem dritten Azubi. Überstunden über die Wochenarbeitszeit hinaus müssten verboten werden.

Grundsätzlich zeigen sich dennoch 71,7 Prozent der Befragten mit der Qualität ihrer Ausbildung zufrieden. Viele sind froh, überhaupt einen Ausbildungsplatz erhalten zu haben. Denn mittlerweile bildet nur noch jeder fünfte Betrieb aus. Die Zahl der Stellen stagniere bei 522.200 auf einem „alarmierend niedrigen Niveau“, kritisierte die Vize-DGB-Chefin Elke Hannack. 282.000 Bewerber gingen im vergangenen Jahr leer aus. Dass dennoch zugleich knapp 41.000 Stellen nicht besetzt werden konnten, sei „grotesk“ und zeige, dass die meisten Unternehmen eine „Bestenauslese“ betreiben: „Jugendliche mit Hauptschulabschluss werden ausgeschlossen.“ Auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles appellierte an die Wirtschaft, schwächeren Bewerbern eine Chance zu geben.

Schlechteste Noten für Lebensmittelhandwerk

Allerdings gibt es bei der Zufriedenheit deutliche Unterschiede – je nach Beruf und Branche. In der Regel gilt: je größer der Betrieb, desto höher die Zufriedenheit der Auszubildenden. Am besten werden die Ausbildungen zum Mechatroniker, Industriemechaniker, Zerspanungstechniker, Bankkaufmann und Elektroniker bewertet.

Die schlechtesten Noten erhalten die Lehren zum Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk, zur Hotelfachkraft, zum Maler, Koch und zur Zahnmedizinischen Fachkraft. Im Hotel- und Gaststättenbereich stören vor allem die langen und ungünstigen Arbeitszeiten bei unterdurchschnittlicher Vergütung. So berichten 55 Prozent aller Köche von regelmäßiger Mehrarbeit.

Schlecht bewertete Lehrberufe wenig gefragt

Je schlechter ein Beruf bewertet wird, desto häufiger bleiben die Ausbildungsstellen unbesetzt, berichtete Haggenmiller. Auch würden in diesen Bereichen Ausbildungen öfter abgebrochen. So sind laut Bundesagentur für Arbeit aktuell noch 130.900 Azubistellen unbesetzt – darunter Tausende für Verkäufer im Einzelhandel, Köche, Bäcker, Friseure, Hotel- und Restaurantfachleute und Fleischereiverkäufer.

Junge Frauen wählen wiederum häufig typische Frauenjobs – meistens im Dienstleistungssektor, wo die Bezahlung niedriger ist, während Männer in technischen Berufen in die Lehre gehen. Geschlechterunabhängig sind unterdessen Überstunden: 34,8 Prozent aller Auszubildenden leisten regelmäßig Mehrarbeit ohne Finanz- oder Freizeitausgleich, obwohl dies in der Ausbildung nicht vorgesehen ist.

DGB für bis zu außerbetriebliche Ausbildungen

Die Industrie- und Handelskammern (DIHK) werten die mehrheitlich geäußerte Zufriedenheit in der Studie positiv. „Die meisten Unternehmen wissen sehr wohl, dass sie nur mit einer hochwertigen Ausbildung attraktiv für junge Menschen sind“, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer, Achim Dercks. Dazu gehörten auch höhere Vergütungen als tariflich vorgeschrieben oder Auslandsaufenthalte. Bei Konflikten in Betrieben empfiehlt Dercks, diese „konstruktiv“ zu lösen. „Bei groben Verstößen können die Industrie- und Handelskammern schon jetzt eingreifen und die Ausbildungsberechtigung entziehen.“

Arbeitgeber kritisieren „verzerrte“ Studie

Die Arbeitgeberverbände (BDA) sehen in der Studie dagegen ein „interessengeleitetes verzerrtes Bild, das den tatsächlichen Verhältnissen in der betrieblichen Ausbildung nicht entspricht“, sagte ein Verbandssprecher.

Als große Herausforderung und Chance betrachtet es die Vizegewerkschaftschefin, in den nächsten Jahren auch Zehntausenden Flüchtlingen einen Ausbildungsplatz anzubieten: „Hier sind die Arbeitgeber gefordert. Doch das wird nicht reichen.“ Von den zuletzt versprochenen 20.000 neuen Azubi­stellen seien nur 7300 geschaffen worden. Hannack schlägt deshalb ab 2017 ein steuerfinanziertes Bund-Länder-Programm vor, mit dem etwa 20.000 bis 30.000 außerbetriebliche Ausbildungen insbesondere auch in ländlichen Regionen angeboten werden. Dieses ‚Zukunftsprogramm Ausbildung‘ muss sowohl einheimischen Jugendlichen als auch Geflüchteten offen stehen, ist Hannack überzeugt: „Besser eine außerbetriebliche Ausbildung als keine.“