Frankfurt/Berlin. Jahrelang boomte der Verkauf deutscher Waren und Dienstleistungen in die Schwellenländer. Doch nun stabilisieren uns die EU-Nachbarn.

Deutschlands Exportwirtschaft verlagert ihr Wachstum: Nach vielen Jahren, in denen vor allem die Ausfuhr in die Schwellenländer boomte, stärkt nun die Nachfrage in Europa den Deutschen den Rücken. Weiterhin bringt der Verkauf von Waren und Dienstleistungen ins Ausland enorme Summen herein. Die deutsche Wirtschaft hat laut Statistischem Bundesamt (Destatis) im ersten Halbjahr Produkte für 603,2 Milliarden Euro ins Ausland abgesetzt. Das war aber nur ein Plus von 1,4 Prozent im Jahresvergleich. 2015 hatte der Zuwachs zur Vorperiode noch bei 7,7 Prozent gelegen.

„Im Moment kommt der deutsche Export nicht recht vom Fleck“, sagte Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Die Exportwirtschaft sei zuletzt Wachstumsraten von fünf, sechs Prozent gewohnt gewesen. 2016 könnten aber, wenn das zweite Halbjahr besser laufe, „allenfalls“ zwei Prozent Wachstum erreicht werden. Man kann die Vorzeichen allerdings auch anders deuten: Gefühlt kriselt es überall auf der Welt – und da ist ein kleines Wachstum schon Grund zur Freude. Der Präsident des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel, Anton Börner, sagte: „Angesichts eines unsicheren und risikoreichen weltwirtschaftlichen Umfelds sind wir mit diesem Ergebnis nicht unzufrieden.“

Ölpreis schlägt Löcher in die Staatshaushalte im Nahen Osten

Was bringt Deutschlands Exportmaschine etwas aus dem Tritt? Es sind vor allem die lange Zeit boomenden Schwellenländer. Beispiel China: Laut Destatis gingen die deutschen Exporte von Januar bis April im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um zwei Prozent auf 23,7 Milliarden Euro zurück. In der Türkei machte sich schon vor dem Putsch die restriktive Politik von Staatspräsident Erdogan bemerkbar, die Investoren mit Misstrauen bestraften. Und in Russland sowie im Nahen Osten schlägt der Ölpreisverfall tiefe Löcher in die Staatshaushalte – die auch bei den Bürgern ankommen und den Konsum drücken. In die sogenannten Drittländer wurde im ersten Halbjahr 1,2 Prozent weniger ausgeführt.

Dafür zieht die Nachfrage in Europa an. Zwar schwelt die Dauerkrise weiter und Italien zittert um seine Banken. Doch in die EU-Länder wurden Waren und Dienstleistungen im Wert von 358,5 Milliarden Euro ausgeführt – ein Zuwachs von 3,3 Prozent. EU-Länder, die nicht der Eurozone angehören, also vor allem Großbritannien, nahmen sogar 5,5 Prozent mehr Waren ab.

Brexit-Folgen werden sich im zweiten Halbjahr zeigen

Es wird sich erst im zweiten Halbjahr zeigen, wie schwer der Brexit-Schock wirkt. Während die Briten momentan noch wie gewohnt einkaufen gehen, deutet sich an, dass von den Unternehmen weniger investiert wird. Das würde zum Beispiel die deutschen Maschinenbauer, für die Großbritannien ein wichtiger Absatzmarkt ist, hart treffen.

Insgesamt kann man derzeit jedoch aus Sicht der deutschen Unternehmen tatsächlich von einer zaghaften Renaissance Europas sprechen. Vor zehn Jahren nahm die EU 64,4 Prozent der Exporte auf. Dieser Anteil schmolz 2014 auf 57,7 Prozent ab. Nun sind es wieder 59,4 Prozent. Das zeigt sich beispielhaft am Vergleich des Handels mit Frankreich und China (siehe Grafik): Seit Mitte der 90er-Jahre hat China enorm an Bedeutung gewonnen. Zuletzt gab es aber erstmals seit vielen Jahren einen Rückgang, während sich der Absatzmarkt Frankreich stabil hält.

Außenhandelsüberschuss steigt

Und wie viel verkauft die Welt nach Deutschland? Die Einfuhren wuchsen im ersten Halbjahr noch langsamer als die Ausfuhren, nämlich um 0,2 Prozent auf 472,4 Milliarden Euro. Der Außenhandelsüberschuss, die Differenz zwischen Im- und Exporten, die 2015 für ein ganzes Jahr bei 247,9 Milliarden Euro gelegen hatte, steuert deshalb auf einen neuen Rekord zu. Sie stieg allein für das erste halbe Jahr auf 130,8 Milliarden Euro.

Insofern funktioniert das „Geschäftsmodell Deutschland“ als Exportland weiter. Doch die Kritik daran wird zunehmen. Zum einen beschwert sich das Ausland darüber, dass das deutsche Wachstum auf Kosten anderer stattfindet. Aber auch im Inland wird gefordert, den Konsum zu stärken – denn derzeit spiegelt die Kaufkraft der Deutschen nicht die wahre Stärke der Wirtschaft wider.