Berlin/London. Deutsche sind Bargeld-Freunde. Doch auch hier wird sich das Handy als Zahlungsmittel durchsetzen, die Infrastruktur wird installiert.

Fünf Pfund und 98 Pence kosten der Milchkaffee sowie ein Laib Brot bei Gail’s, einer Bäckerei im Londoner Stadtteil Battersea. Kein Kleingeld? Kein Problem. Ein Wink mit dem Smartphone, das Kartenterminal vibriert kurz und der Betrag ist direkt von der hinterlegten Kreditkarte abgebucht. An der Supermarktkasse, in der Eisdiele oder im Bus – überall zücken die Briten heute ihre Karte und zahlen Beträge unter 30 Pfund (rund 36 Euro), in dem sie sie kurz über das Terminal halten. In Schweden ist bargeldloses Zahlen sogar noch weiter verbreitet, es gibt inzwischen Toilettenkassen, die keine Münzschlitze mehr haben und Kirchenkollekten per Handy.

In Deutschland haben dagegen erst sieben Prozent der Bevölkerung das Zahlen per Handy ausprobiert, stellte der Digitalverband Bitkom kürzlich fest. Das bargeld- und kartenlose Bezahlen steht also noch ganz am Anfang. Doch schon bald könnte sich das ändern, die wichtigsten Zutaten sind dafür inzwischen vorhanden. Erstens: Seit Ende vergangenen Jahres dürfen aufgrund von EU-Vorschriften Karteninstitute nur noch niedrige Gebühren verlangen. Bei Giro-Karten (noch als EC-Karten bekannt) sind das 0,2 Prozent des Preises, bei Kreditkarten 0,3 Prozent – der aufwendige Umgang mit Bargeld ist oft teurer. Die Folge: Discounter wie Aldi und Lidl akzeptieren inzwischen Kreditkarten, Aldi Süd neuerdings sogar die Nobel-Karte American Express. Dann ist es attraktiv, gleich das kontaktlose Bezahlen zu akzeptieren: Ohne PIN-Eingabe geht das Kassieren noch einmal schneller.

Bis 25 Euro kann man sogar ohne PIN bezahlen

Zweitens: Die Infrastruktur ist bald flächendeckend vorhanden. Die Zahlungsterminals werden Schritt für Schritt umgestellt. Mastercard hat Händler und Terminalbetreiber verpflichtet, bis Ende 2017 alle Kassengeräte NFC-fähig zu machen, bestätigt eine Unternehmenssprecherin. Das Kürzel steht für Near Field Communication. Die Kommunikationsprotokolle erlauben einen Datenaustausch zwischen zwei Geräten, eines davon typischerweise mobil, die auf mindestens vier Zentimeter angenähert werden.

Handys sind dabei übrigens nur ein technisches Hilfsmittel. In einer Art Geldbeutel-App auf dem Mobiltelefon hinterlegen Nutzer ihre Kontodaten, die Abbuchung erfolgt dann vom gewohnten Konto. Die NFC-Zahlung ist deshalb auch mittels einer mit Chip ausgestatteten Kreditkarte möglich. In Deutschland kann bis zu einem Betrag von 25 Euro ohne PIN bezahlt werden. Der Weg ist also frei für das Smartphone als Geldbörse. Das Angebot steigt schnell: Schon bis Jahresende wollen nach Angaben des Kölner Marktforschungsinstituts EHI 60 Prozent der großen Handelsunternehmen den Service anbieten.

Apple mischt in Deutschland noch nicht mit – weil es zu teuer ist

Bei der Ausstattung der Kunden muss Deutschland allerdings noch aufholen. Kaum ein Bürger hat entsprechende Programme auf seinem Smartphone. Grund ist auch das schmale Angebot. So ist zum Beispiel Apple Pay, die Geldbeutel-App des US-Konzerns, in Deutschland noch nicht verfügbar. Weder die Banken noch die Händler sind offenbar bereit, die von Apple verlangte Gebühr von 0,15 Prozent des Einkaufspreises abzugeben. Auch das Konkurrenzsystem Android Pay gibt es in Deutschland noch nicht. Die Deutsche Telekom bietet derzeit keinen digitalen Geldbeutel an, bestätigte eine Sprecherin.

Es gibt Nischenanbieter wie Boon, deren App aber gerade mal auf 5000 Downloads im Android-Shop kommt. Die Supermarktkette Edeka zum Beispiel hat eine eigene App, das Bonussystem Payback bietet bargeldloses Zahlen per grafischem Code an.

Dorothee Frigge, Expertin des EHI, ist überzeugt, dass die Nutzung von kontaktlosem Bezahlen erst zunehmen wird, wenn sich einheitliche, für den Benutzer komfortable digitale Geldbörsen durchsetzen. „Ich habe es schon ausprobiert und war begeistert, wie schnell es geht“, sagt sie. Die Smartphone-Geldbörse kommt also – aber langsamer als anderswo.

Die Europäer sind im Schnitt deutlich aufgeschlossener als die Deutschen

Die Deutschen sind eben „konservativ im Umgang mit Geld“, sagt Frigge. „Auch Kartenzahlungen haben sich hier langsamer durchgesetzt als in anderen Ländern.“ Noch immer machen Barzahlungen im Einzelhandel gut die Hälfte der Umsätze aus, dieser Anteil liegt zum Beispiel in Schweden nur noch bei 20 Prozent. Eine repräsentative Umfrage der Direktbank ING-Diba ergab jüngst, dass nur 34 Prozent der Deutschen erwarten, ihn Zukunft ihr Smartphone an der Kasse zu verwenden. Der europäische Schnitt liegt bei 54 Prozent. Ein Grund für die deutsche Skepsis: Auch wenn die App-Anbieter versprechen, dass die Zahlung sicher und anonym ist, vielen ist mit dem garantiert anonymen Bargeld wohler.

In Großbritannien ist Cash zum Teil nur noch eine Randerscheinung. „Grob geschätzt zahlen heute zwei Drittel meiner Kunden kontaktlos“, sagt Victor Ashley, der unweit der Londoner Innenstadt einen Imbiss mit Sandwiches und Salaten betreibt. Er freut sich darüber: „Das Bargeld-Handling hat sich für mich deutlich reduziert, und entsprechend auch die damit verbundenen Kosten.“