1800 Flüge fielen 2012 aus, weil die Fluglotsen die Arbeit niederlegten. Der Streik war rechtswidrig, befand das Bundesarbeitsgericht.

Böse Überraschung für Deutschlands Arbeitnehmerverbände: Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) muss wohl Schadenersatz in Millionenhöhe an Fraport, den Betreiber des Frankfurter Flughafens, zahlen. Der Streik der Vorfeldlotsen im Februar 2012 sei in Teilen rechtswidrig gewesen, urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) gestern. Denn einzelne Forderungen der Gewerkschaft hätten noch der Friedenspflicht unterlegen.

Die gilt, so lange ein Tarifvertrag noch läuft. Die Frage, wie viel Schadenersatz die GdF leisten muss, hat das BAG aber an das Landesarbeitsgericht Hessen zurückverwiesen. Fraport hatte von der Lotsengewerkschaft Wiedergutmachung für Einnahmeverluste von etwa 5,2 Millionen Euro verlangt, weil Hunderte Flüge ausgefallen waren.

Experten hat das Urteil völlig überrascht

Damit haften Gewerkschaften zwar für die Folgen von Streiks gegenüber dem Tarifpartner, in diesem Fall war das die Fraport AG. Sie haften jedoch nicht für den Schaden, der bei Dritten entstanden ist: Auch die Fluggesellschaften Lufthansa und Air Berlin hatten geklagt. Ihre Schadenersatzforderung, bei der Lufthansa waren es knapp 3,9 Millionen Euro, bei Air Berlin 131.000 Euro, hatten keinen Erfolg. Schon vor einem Jahr hatte das BAG entschieden, dass Gewerkschaften nicht für Folgekosten des Arbeitskampfes haftbar gemacht werden können, die bei nicht direkt bestreikten Unternehmen entstehen.

Die Existenz der Gewerkschaft sieht GdF-Chef Matthias Maas durch das Urteil nicht gefährdet. Die GdF vertritt etwa 4000 Fluglotsen und Vorfeldlotsen und Mitarbeiter in der Verkehrszentrale, die den Flugzeugen beim Ein- und Ausparken helfen.

„Der Wind hat sich gedreht“

Als „Paukenschlag“ sieht Nicoley Baublies, Chef der Flugbegleitergewerkschaft Ufo, das Urteil der Erfurter Richter. Sie hätten nun aus rein formalen Gründen geurteilt, und für die Gewerkschaften bedeute das, dass sie künftig für kleine formale Fehler zum Schadenersatz herangezogen werden könnten. Das sei existenzbedrohend. „Der politische Wind in der Rechtsprechung scheint sich gedreht zu haben“, meint Baublies. Als Reaktion könne er sich vorstellen, dass nun die Gewerkschaften enger zusammenrücken und ihre Kräfte finanziell bündelten. Baublies hatte die „Interessengemeinschaft Luftverkehr“ (IGL) gegründet, der verschiedene Gewerkschaften beitreten können.

Die generelle Schadenersatzpflicht, die die Richter in Erfurt mit dem Urteil in die Wege geleitet haben, könnte den Gewerkschaften faktisch ihr Streikrecht nehmen, wenn es mehrere derartige Entscheidungen gibt: „Das würde ihnen das Rückgrat brechen“, sagt Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bonn.

Gewerkschaften gehen finanzielles Risiko ein

Streiks sind zwar durch das Grundgesetz indirekt garantiert, dort ist die Koalitionsfreiheit festgelegt. Damit wollten die Verfassungsväter verhindern, dass Gewerkschaften verboten werden können. Allerdings: Damit eine Gewerkschaft ihren Forderungen Nachdruck verleihen kann, muss sie auch finanziell das Risiko eines Streiks eingehen können. Wie das Arbeitskampfrecht ausgestaltet ist, legen aber Richter fest. Das gelte auch bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Arbeitsverträgen, sagt Thüsing.

Diese Vorschriften im Detail per Gesetz zu regeln, dafür fehle der politische Mut, meint der Rechtswissenschaftler. Nur das Tarifrecht hat der Gesetzgeber inzwischen mit dem Tarifeinheitsgesetz geregelt, das Spartengewerkschaften wie die Lotsenvertreter in die Schranken weisen soll.

Anders als erwartet, spielte die Unverhältnismäßigkeit eines Ausstands bei der Entscheidung der Erfurter Richter keine Rolle. Die GdF hatte die Fluglotsen, die auch bei ihr organisiert sind, damals zu einem Unterstützungsstreik aufgerufen, was von einem Gericht später für illegal erklärt wurde. Dieser Konflikt war jedoch für die Erfurter Richter nicht ausschlaggebend.