Erfurt. Zwei Airlines und der Flughafenbetreiber Fraport klagen gegen die Lotsengewerkschaft GdF. Es geht um 1668 ausgefallene Flüge.

„Sie sind doch die, die immer streiken?“ – diese Frage hört Matthias Maas, Chef der kleinen Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), häufiger. An diesem Dienstag steht die streitbare Lotsengewerkschaft mit ihren knapp 4000 Mitgliedern vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt, nicht zum ersten Mal. Jetzt geht es um eine Klage nicht nur von Airlines, sondern auch des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport. Offen ist, ob die Bundesrichter der Rechtsauffassung der Vorinstanzen in Hessen folgen.

Worum geht es bei dem Rechtsstreit?

Um Schadenersatzzahlungen in Höhe von mehr als neun Millionen Euro. Und um die Frage, ob und wann Gewerkschaften für Streikfolgen bei einer Tarifauseinandersetzung haften. Die Entscheidung der Bundesrichter kann Auswirkungen auch auf Streiks anderer Gewerkschaften haben, die während der Tarifrunden jährlich für Hunderttausende Arbeitnehmer geführt werden. Die Richter werden sich in der Verhandlung damit befassen, wann Streiks rechtswidrig sind. Dabei könnte die sogenannte Friedenspflicht – sie untersagt Streiks während der Laufzeit von Tarifverträgen – eine wichtige Rolle spielen.

Wer klagt gegen die Gewerkschaft der Flugsicherung?

Das sind Lufthansa, Air Berlin und Fraport. Grund ist ein mehrtägiger Streik, zu dem die Gewerkschaft der Flugsicherung die sogenannten Vorfeldlotsen am Frankfurter Flughafen während eines Tarifkonflikts im Februar 2012 aufgerufen hatte. Streikbedingt sollen damals 1668 Flüge ausgefallen sein. Allein für Fraport geht es nach Angaben eines Unternehmenssprechers um einen Schaden von rund 5,2 Millionen Euro.

Was kreiden die Unternehmen der Gewerkschaft an?

Die Kläger werfen der GdF vor, die Friedenspflicht und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei dem Arbeitskampf verletzt zu haben. Der Streik sei daher rechtswidrig. Nach bisheriger Rechtsprechung sind nur dann Schadenersatzansprüche möglich. GdF-Chef Maas weist den Vorwurf der Rechtswidrigkeit zurück und beruft sich auf die Entscheidungen der Vorinstanzen. Sie verneinten Ansprüche der Kläger. Das Hessische Landesarbeitsgericht ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung des mehrjährigen Rechtsstreits die Revision zu.

Fünf Airlines waren schon im August 2015 in Erfurt mit einer Schadenersatzklage gegen die GdF gescheitert. Warum ein zweites Verfahren?

Vor einem Jahr wurde gestritten, ob Fluggesellschaften Schadenersatz verlangen können, obwohl sie nicht direkt bestreikt wurden. Es ging am Beispiel eines Streiks am Stuttgarter Flughafen rechtlich um Schadenersatzansprüche Dritter. Die Bundesrichter entschieden in einem Grundsatzurteil, dass Gewerkschaften für die Folgekosten bei nur mittelbar betroffenen Unternehmen nicht haften. Arbeitsrechtler wie der Bremer Professor Wolfgang Däubler sehen die erneute Klage der Fluggesellschaften daher skeptisch. „Das ist nach dem Urteil vor einem Jahr eigentlich klar.“

Was könnte der Knackpunkt im konkreten Fall sein?

Mit Fraport fordert ein Unternehmen Schadenersatz, das direkt von Arbeitsniederlegungen der Beschäftigten der Vorfeldkontrolle und der Verkehrsaufsicht betroffen war. Zudem stellt sich die Frage, ob die Bundesrichter den Vorinstanzen bei der Bewertung des Streiks uneingeschränkt folgen. Sie werden unter anderem prüfen, ob der Lotsengewerkschaft Fehler bei der Friedenspflicht unterlaufen sind. Dabei geht es um unterschiedliche Laufzeiten bei einzelnen Regelungen im Tarifvertrag. Das Landesarbeitsgericht hatte sich großzügig gezeigt und erklärt: „Die Klage der Fraport AG wurde abgewiesen, weil die Streiks keinen anderen Verlauf genommen hätten und der Schaden kein anderer gewesen wäre, wenn mit dem Streik ausschließlich rechtmäßige Streikziele verfolgt worden wären.“

Das Streikrecht gilt als Richterrecht – warum eigentlich?

Streiks als Mittel in Tarifauseinandersetzungen sind durch das Grundgesetz garantiert. Anders als in anderen Bereichen des Arbeitsalltags - beispielsweise bei Arbeitszeiten - gibt es kaum gesetzliche Vorschriften. Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing sagt: „Die Regeln machen die Gerichte.“ (dpa)