Berlin. Freier Handel und Autoimporte aus Deutschland: Großbritannien hofft, dass Brüssel bei einem „Soft Brexit“ beidseitige Vorteile sieht.

Kann der wirtschaftliche Schaden durch den Brexit für beide Seiten gering gehalten werden, wenn die Europäer sich kompromissbereit zeigen? Die neue konservative Londoner Regierung glaubt daran. David Davis, der für den Austritt zuständige Minister im neuen britischen Kabinett, ist optimistisch, dass der freie Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital den momentanen Konflikt überdauern werde. „Sobald die europäischen Nationen realisieren, dass wir bei der Kontrolle unserer Grenzen nicht nachgeben, werden sie verhandeln – in ihrem eigenen Interesse.“ Gelingt das, erwartet Davis sogar einen Wirtschaftsboom.

Für ein Entgegenkommen plädiert auch der Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer in London, Ulrich Hoppe. Er spricht sich für die Variante eines „Soft-Brexit“ aus, „welcher den ungehinderten Zugang für britische Firmen zum Binnenmarkt und für europäische Firmen zum britischen Markt aufrecht erhält“. Ein solches Verhandlungsergebnis sei möglich. „Die EU sollte akzeptieren, dass Großbritannien gewisse Ausnahmen bei der Freizügigkeit machen darf.“

Ifo-Chef Fuest: Briten dürfen Einwanderung in Sozialsystem dämmen

Hoppe spricht damit einen umstrittenen Punkt an: Die neue britische Regierung will den freien Wirtschaftsverkehr zwischen den Inseln und der EU sichern. Als Gegenleistung verlangt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dass weiterhin volle Personenfreizügigkeit für EU-Bürger gewährt wird – was London ablehnt.

Hoppe vertritt die Interessen deutscher Unternehmen in Großbritannien. Er ist einer derjenigen, die dringend raten, das Beste aus dem Brexit zu machen. Drei Wochen nach der britischen Entscheidung zum EU-Austritt nehmen diese Stimmen zu. Auch Ökonomen werben für eine pragmatische Herangehensweise. Clemens Fuest, Präsident des Münchener ifo-Instituts, sagt: „Ein zentrales Anliegen Großbritanniens besteht darin, Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme zu verhindern. Dieses Anliegen ist berechtigt.“ Und weiter: „Die EU sollte im Interesse aller Mitgliedstaaten Regelungen finden, die diese Form der Migration wirksam eindämmen.“

Wirtschaftsverbände mit hohem Exportanteil, wie der Verband der Automobilindustrie (VDA), drängen ohnehin darauf, dass der freie Markt erhalten bleibt. 800.000 Fahrzeuge aus deutscher Fertigung werden jährlich in Großbritannien verkauft. Laut Hoppe muss Brüssel den Briten auch aus historischen Gründen entgegenkommen. „Nach der ersten EU-Osterweiterung, als unter anderem Polen und die baltischen Staaten der EU beitraten, behielten sich Deutschland und die meisten anderen EU-Länder ebenfalls für einige Jahre das Recht vor, die Freizügigkeit einzuschränken. Großbritannien aber habe die Personenfreizügigkeit sofort eingeführt. „Das wäre ein Anlass, nun auch umgekehrt Verständnis zu zeigen“, so der Lobbyist.

Großbritannien sucht Nähe zu USA und China

Brexit-Minister Davis sieht im Fall einer Einigung sogar Chancen, in Großbritannien eine konkurrenzfähigere Exportwirtschaft aufzubauen. Die Einwanderung der vergangenen Jahre habe dazu geführt, eine Dienstleistungswirtschaft mit niedrigen Löhnen und geringer Produktivität zu fördern.

Stattdessen müsse es darum gehen, Innovationen zu unterstützen und internationale konkurrenzfähige Arbeitsplätze zu schaffen. Um das voranzubringen, will die britische Regierung zunächst Freihandelsverträge mit den USA und China abschließen. Erst danach soll der Antrag auf Austritt aus der EU eingereicht werden.