Seattle. Der US-Flugzeughersteller Boeing, dessen Wurzeln bis ins Sauerland reichen, feiert Geburtstag. Doch Konkurrent Airbus trübt die Freude.

Von schweren Turbulenzen zu sprechen, wäre überzogen. Schönwetterflug aber auch. Zum 100-jährigen Bestehen hält der ökonomische Wetterbericht für Boeing, den weltgrößten Flugzeughersteller, durchwachsene Nachrichten bereit. Im Zweikampf mit dem europäischen Rivalen Airbus hat das Unternehmen beim Neugeschäft das Nachsehen: Auf der Luftfahrtmesse im englischen Farnborough schloss Boeing Verträge für 182 Maschinen, Airbus über 279.

Dass einmal ein auch aus Deutschland mitgesteuerter Konzern der große Gegenspieler von Boeing werden würde, war vor 148 Jahren nicht absehbar. Damals kehrte Wilhelm Böing seiner Heimat Hohenlimburg bei Hagen im Sauerland den Rücken, um in Amerika sein Glück zu suchen. Mit einem Startkapital von 60 Dollar stieg er in Detroit in den Holzhandel ein, wurde Präsident eines Eisenwerkes, Bankdirektor, Aktionär einer Lebensversicherungsgesellschaft.

Flugzeug statt Yacht

Nach seinem frühen Tod mit 42 Jahren hinterließ er seiner Ehefrau Marie und den drei Kindern ein Millionenvermögen. Sein Sohn William Edward, der bereits gut amerikanisch William Boeing hieß, wollte in einem kleinen Bootshaus am Lake Union in Seattle (Bundesstaat Washington) eigentlich eine Yacht bauen. Doch er funktionierte dann die „rote Scheune“ in eine Flugzeugmanufaktur um.

Heute ist sie im „Museum of Flight“ neben einem riesigen 747-Jumbo ausgestellt. Am 15. Juni 1916 flog Boeing zum ersten Mal das aus Holz, Draht und Leinen gebaute Wasserflugzeug Model 1. Wenige Wochen später wurde in Seattle die Pacific Aero Products Company ins Handelsregister eingetragen, sie wurde später in Boeing Airplane Company umbenannt.

Ledersessel und Leselampen im Pullmann der Lüfte

Zunächst produzierte die Firma Transportmaschinen für die Post. Die dafür eigens gegründete Boeing Air Transport ging später in der Fluglinie United Airlines auf. Das erste Verkehrsflugzeug, Model 80, war ein Doppeldecker mit Stahlrohrrumpf und Stoffbespannung. In der Luxusversion fanden zwölf Fluggäste auf Ledersesseln Platz. Es gab Leselampen und fließend Wasser. In Anlehnung an die komfortablen Eisenbahnwagen der damaligen Zeit wurde das Flugzeug „Pullmann der Lüfte“ genannt.

Die Feierlaune im Großraum Seattle, wo Boeing mittlerweile doppelt so viele Arbeitskräfte beschäftigt wie die Lokalmatadoren Amazon und Microsoft zusammen, hält sich zum 100. Geburtstag dennoch in Grenzen. Die eigens für die Firma abgestellten „Aerospace Reporter“ der „Seattle Times“ zitierten im Frühjahr aus einer internen Mitarbeiteransprache von Zivilluftfahrtchef Ray Conner an die Belegschaft: „Sie attackieren uns auf allen Feldern über den Preis und drücken uns gegen die Wand.“ Mit „sie“ war Airbus gemeint.

Airbus montiert jetzt im Heimatland von Boeing

Seit der europäische Konkurrent die beliebten Mittelstreckenjets aus der A320-Modellfamilie in Alabama, und damit im Heimatmarkt Boeings, montieren lässt, herrscht in der Boeing-Zentrale in Chicago Anspannung. Airbus-Chef Fabrice Brégier kündigte vergangenen Sommer an, den US-Marktanteil auf 50 Prozent steigern zu wollen.

Die Hoffnungen ruhen vor allem auf der Neuauflage A320neo. Seit Entwicklungsstart der Maschine, die bis zu 20 Prozent weniger Kerosin verbraucht als der Vorgänger, sind bereits über 4500 Exemplare geordert und die ersten Anfang dieses Jahres ausgeliefert worden. Boeings Konkurrenzprodukt, die 737-MAX, kommt auf zirka 3200 Vorbestellungen, wird aber dem Unternehmen zufolge frühestens 2017 aufs Rollfeld kommen. Ein Nachteil, der Airbus allein im vergangenen Jahr einen Marktanteil beim Auftragseingang von über 60 Prozent bei Maschinen mit einem Mittelgang bescherte.

Stellenabbau in Washington geplant

Zwar würde der Auftragsbestand bei Boeing mit etwa 5700 Flugzeugen noch knapp zehn Jahre Vollbeschäftigung sichern. Um die Wirtschaftlichkeit des Riesen zu stärken, wird Boeing-Chef Dennis Muilenburg bis Jahresende nach Medienangaben allein im US-Bundesstaat Washington die Belegschaft von 87.000 auf voraussichtlich 79.000 schrumpfen.

Auf der Luftfahrtmesse in Farnborough hatte Muilenburg aber auch gute Nachrichten: Er prognostizierte bis zum Jahr 2035 eine Verdopplung der weltweiten Passagierflugzeugflotte – auf rund 40.000 Exemplare. Ein Auftragspotenzial, von dem sich der knapp 160.000 Menschen beschäftigende Hochtechnologiekonzern einen großen Anteil sichern will.

Hohe Entwicklungskosten für Modell 787

Mittelfristig erwägt Boeing die Konzeption ein ganz neuen Modells für die stark nachgefragte Mittelstrecke mit einer Flugzeit von vier bis sechs Stunden. Aber die Investitionsmöglichkeiten sind begrenzt. Die immensen Entwicklungs- und Produktionskosten von knapp 30 Milliarden Dollar für den Langstreckenjet 787, der weniger oft bestellt wird als erhofft, lasten schwer auf den Bilanzen.

Bis dahin muss neben Dienstleistungen für Militär und Raumfahrt mit der bestehenden Modellpalette Geld verdient werden. Aus Farnborough meldete der Konzern, der sich große Hoffnungen auf einen noch wackligen Mega-Deal mit dem nach dem Atom-Vertrag wieder salonfähig werdenden Iran macht, zum Abschluss Aufträge im Gesamtwert von mageren 26,8 Milliarden Dollar. Auch kein richtiges Geschenk: Airbus kam auf 35 Milliarden Dollar.