London/Tokio/Singapur/Frankfurt a. M./Berlin. Der EU-Austritt der Briten erschüttert die Finanzmärkte. Der Dax erreicht einen historischen Kurssturz. Das Pfund fällt auf ein Tief.
Brexit-Schock für Europa und die Finanzmärkte: Der Austritt der Briten aus der EU dürfte für einen „Black Friday" sorgen. Der bevorstehende Ausstieg Großbritanniens aus der EU brockte dem Dax den größten Kurssturz seit 2008 ein. Er fiel zur Eröffnung am Freitag um 10 Prozent auf 9232 Punkte. „Der bislang schwärzeste Tag war 1987 mit einem Rutsch um 9,39 Prozent", sagte ein Händler.
Die Anleger wurden klar auf dem falschen Fuß erwischt: Seit Mitte der Vorwoche war der Dax in zunehmender Hoffnung auf einen Verbleib der Briten noch um fast 9 Prozent nach oben gesprungen. Nun ist der deutsche Aktienindex auf Talfahrt.
Pfund Sterling auf 30-Jahre-Tiefstand
Die Entscheidung der Briten für den EU-Austritt sorgt zudem vor allem beim Pfund für einen Ausverkauf. Die britische Währung fiel unter 1,33 Dollar – den tiefsten Stand seit 1985. Damit war er rund 11 Prozent billiger als am frühen Morgen, als das Pfund zeitweise noch etwas mehr als 1,50 Dollar gekostet hatte. Die britische Währung dürfte noch mehr verlieren als am 16. September 1992, als Großbritannien nach massiven Verkäufen großer Investoren das Europäische Währungssystem (EWS) verlassen musste. Die Bank of England kündigte in einer Stellungnahme an, „alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um ihrer Verantwortung für die Stabilität der Währung und des Finanzmarkts“ gerecht zu werden.
Auch der Euro stand stark unter Druck. Am frühen Freitagmorgen kostete die europäische Gemeinschaftswährung mit 1,0978 Dollar fast fünf Cent weniger als noch wenige Stunden davor, als die Hoffnung auf einen Verbleib Großbritanniens noch überwogen hatte. Experten rechnen im Handelsverlauf weiter mit starken Bewegungen.
Ebenfalls heftige Ausschläge gab es an den Aktienmärkten in Asien. Der Nikkei-Index in Tokio rutschte bis 13 Uhr (Ortszeit) um mehr als 7 Prozent auf 15.121 Punkte ab. Die Angst vor dem Brexit sorgte auch an den Märkten in Australien für Turbulenzen, wo der S&P/ASX 200-Index mit 5092 Punkten 3,6 Prozent schwächer notierte.
Yen und Schweizer Franken als Fluchtwährung
Bei weltweit einbrechenden Aktienmärkten flüchteten die Anleger in sichere Häfen. Vor allem der Yen blieb als Fluchtwährung gefragt. Das Pfund wertete gegenüber der japanischen Währung um bis zu 15 Prozent ab. Der Brexit trieb Anleger zudem in den Schweizer Franken. Die Währung kletterte zum Euro auf den höchsten Stand seit August 2015. Ein Euro kostete am Freitagmorgen 1,0626 Franken. Die Schweizer Währung gilt bei Investoren als sichere Anlage in turbulenten Zeiten – und ist daher gefragt. Auch Gold und Anleihen waren am Morgen gefragt.
Die deutschen Banken rechnen indes mit einer schnellen Stabilisierung der Märkte. „Die Lage an den Finanzmärkten dürfte sich nach dem ersten Schock rasch beruhigen“, sagte der Präsident des Bankenverbandes, Hans-Walter Peters, am Freitagmorgen. Die Notenbanken hätten zudem alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um eingreifen zu können.
Wirtschaft befürchtet Einschnitte im Handel mit Großbritannien
Nicht nur an den Finanzmärkten, auch in der Industrie zeigt die Brexit-Entscheidung Auswirkungen: Die deutsche Industrie rechnet mit „harten und unmittelbaren“ Einschnitten im Handel mit Großbritannien. „Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber, am Freitagmorgen.
Brexit-Befürworter bejubeln ihren Sieg
Fast 400.000 Menschen arbeiten im Vereinigten Königreich in Niederlassungen deutscher Unternehmen. „Die Beschäftigten stehen vor unsicheren Zeiten“, sagte Kerber. Besonders betroffen vom Brexit seien wohl die Branchen Auto, Energie, Telekom, Elektronik, Metall, Einzelhandel und Finanzen. Die Überschrift für die kommenden Austrittsverhandlungen müsse „maximale Schadensbegrenzung“ lauten.
Großbritannien müsse Teil des EU-Binnenmarktes bleiben
Der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Clemens Fuest, kritisierte das Votum der Briten für einen EU-Austritt als „Niederlage der Vernunft“. „Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen“, teilte Fuest am Freitagmorgen mit. Dazu gehöre es, dass Großbritannien so weit wie möglich Teil des EU-Binnenmarktes bleibe. „Es ist wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibt.“
Auch die deutsche Exportwirtschaft hat das Votum der Briten „eine Katastrophe für Großbritannien, für Europa und insbesondere auch für die deutsche Wirtschaft“ genannt. „Es ist bestürzend, dass die älteste Demokratie der Welt uns den Rücken kehrt“, sagte der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner, am Freitagmorgen. „Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden“, sagte er. „Geradezu apokalyptische Hochrechnungen“ prognostizieren Börner dem BGA zufolge einen bis zu 30 prozentigen Wohlstandsverlust bis zum Jahr 2030. (dpa/rtr/jkali)