Hannover. Die Kleinanleger greifen beim Aktionärstreffen die VW-Führung an. Doch der Frust läuft ins Leere, weil die Manager sich sicher sind.

Er wirkt wie die Ruhe selbst. Bei Aktionären, die ihn als einen der Schuldigen im Abgasskandal beschimpfen, bedankt sich VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch freundlich für ihren Redebeitrag. Als ehemaliger Finanzvorstand waren dem Chefkontrolleur bei der Hauptversammlung des VW-Konzerns jede Menge Angriffe sicher. Einige Aktionäre beantragen sogar seine Absetzung als Leiter der Veranstaltung. Hans Dieter Pötsch bleibt bei seinem Lächeln.

Dass die Wut der Kleinaktionäre bei der Versammlung mitten in der größten Krise des Autobauers aber nicht völlig an ihm abperlt, zeigen die Stellen in seiner Rede, an denen ihm die Stimme stockt und er sich teils mehrfach räuspern muss. Etwa als er mitteilt, dass der Aufsichtsrat an seiner Empfehlung festhält, den Vorstand für das Krisenjahr 2015 zu entlasten.

Der Konzern behauptet, alle Pflichten erfüllt zu haben

Dafür hat sich der Aufsichtsrat noch in seiner Sitzung am späten Dienstagabend entschieden – obwohl die Finanzmarktaufsicht Bafin VW-Vorstand und -Aufsichtsrat wegen des Verdachts auf Marktmanipulation angezeigt hat. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen den ehemaligen Vorstandschef Martin Winterkorn und VW-Markenvorstand Herbert Diess. Christine Hohmann-Dennhardt, im VW-Vorstand für Integrität und Recht, bügelt die Vorwürfe ab: Der Konzern habe alle rechtlichen „Pflichten erfüllt“. Doch das Land Niedersachsen verweigerte als Großaktionär Winterkorn und Diess die Zustimmung. Dennoch reichte es bei der Abstimmung zu einer Entlastung des gesamten Vorstandes. Die Entlastungen galten im Endergebnis jedoch schon vor der Abstimmung als sicher, da die Porsche-Holding PSE als wichtigster Großaktionär seine Zustimmung angekündigte hatte. Die PSE hält gut 50 Prozent der Stimmen bei Volkswagen an bestimmt den Kurs bei einfachen Mehrheiten daher alleine. Hinter ihr steht die Familie Porsche/Piëch.

Am Freitag, 18. September 2015, hatten zwei US-Umweltbehörden öffentlich gemacht, dass VW seit Jahren in bestimmte Dieselmotoren eine Schummelsoftware einbaute. Der Konzern bestätigte das kurz darauf. Er hatte allerdings bereits Monate vorher mit den Behörden verhandelt.

Die Konzernspitze entgeht dem direkten Kontakt mit Anlegern

Immerhin gibt Volkswagen sich auf der Hauptversammlung in Hannover bescheiden. Die eingeschliffene, pompöse Selbstdarstellung der vergangenen Jahre ist Geschichte. Stattdessen stehen die Autos und Lastwagen aller zwölf Marken in Halle 2 des Messegeländes in einer Reihe nebeneinander, fast wie auf einem Parkplatz. Der gemeinsame Rundgang von Vorstand, Aufsichtsrat und den Eignerfamilien Piëch und Porsche entfällt diesmal.

So entgeht die Konzernspitze direktem Kontakt mit den Anlegern, die sich vor der Veranstaltung mit Kaffee und pikanten Häppchen stärken. Viele hätten sich auch von den Vorstandsmitgliedern mehr Reue gewünscht. „Mir kann keiner erzählen, dass sie nichts gewusst haben“, sagt Marianne Brandt aus der Nähe von Hannover. Die 68-Jährige hätte sich „ein bisschen Einsicht“ gewünscht, zum Beispiel auf die Hälfte der Bonuszahlungen fürs vergangene Jahr zu verzichten. „Wenn ich als Selbstständige etwas versaut habe, habe ich auch nichts verdient.“

„Von mir bekommt der Vorstand die Entlastung nicht“

Wolfgang Voss hat im Geschäftsbericht das Kapitel Abgasthematik aufgeschlagen. Der 67-Jährige ist ebenfalls überzeugt, dass die Vorstände über den Betrug Bescheid wussten – viel früher als bekannt gegeben. Doch „der Schuldige wird nie benannt“, glaubt der Kleinaktionär. Er findet es befremdlich, dass die deutschen Kunden keine Entschädigungsangebote wie in den USA bekommen hätten. „Von mir bekommt der Vorstand die Entlastung nicht.“ Dessen Mitglieder geben sich betont entspannt, als sie die Bühne betreten, lächeln, klopfen sich gegenseitig auf die Schulter. VW-Markenchef Diess blickt selbstbewusst direkt in die Kameras.

„Dieselgate“ ist das beherrschende Thema der Hauptversammlung. Pötsch betont in seinem Bericht, VW arbeite intensiv an der Aufklärung des Betrugs: durch einen Sonderausschuss, der allein 2015 sechs Mal getagt habe; durch die Berufung von Hohmann-Dennhardt; durch die unabhängige Aufklärung durch die US-Kanzlei Jones Day. Ergebnisse kann der Chefkontrolleur allerdings nicht präsentieren – um die Verhandlungen mit den US-Behörden zu einem Vergleich nicht zu gefährden. Er bedauere das sehr. Für den Einsatz der Manipulationssoftware entschuldigt er sich mehrfach, das erste Mal gleich zu Beginn seines Berichts.

VW-Chef Müller entschuldigt sich für missbrauchtes Vertrauen

Konzernchef Matthias Müller wirkt da mit seinem bayerischen Akzent nahbarer. Auch er entschuldigt sich für das missbrauchte Vertrauen, richtet den Blick aber vor allem nach vorn. Den Aktionären stellt er seine Pläne für den Konzernumbau hin zu mehr Elektromobilität, Digitalisierung, aber auch mehr Effizienz und Profitabilität vor. Die Zuhörer applaudieren zwischendurch immer wieder, zum Schluss bekommt der neue Vorstandsvorsitzende sogar den längsten Applaus.

Der Nachfolger von Martin Winterkorn scheint gut anzukommen bei den Anlegern. „Sehr wach und ernsthaft“, findet Georg Rüter aus Bielefeld, „ohne Überheblichkeit“. Seine Ausführungen seien sehr selbstkritisch gewesen, meint Rolf Höhne aus Gifhorn. 17 Cent Dividende für seine Vorzugsaktien findet der ehemalige VW-Mitarbeiter hingegen nicht in Ordnung. „Damit muss man aber leben als Aktionär.“

Posieren vor giftgrünem Lamborghini

Die beiden sitzen bei Wiener Würstchen und VW-Currywurst in Halle 2. Das Treiben erinnert an ein Festzelt. Durch die abgespeckte Ausstellungsfläche hat der Konzern umso mehr Tische aufgebaut, an der Essensausgabe haben sich Schlangen gebildet. Junge Männer posieren für ein Foto vor dem giftgrünen Lamborghini.

Während sich Vorstand und Aufsichtsrat bei der Aussprache weiter Vorwürfe aufgeregter, machtloser Kleinaktionäre anhört, Pötsch wegen der zahlreichen Anträge die Redezeiten immer weiter verkürzt, um die Hauptversammlung bis Mitternacht abschließen zu können, hat sich Halle 2 mit den Esstischen deutlich geleert. Ohnehin ist wohl klar, dass Vorstand und Aufsichtsrat entlastet werden, denn die Mehrheit der Stammaktien halten die Familien Piëch und Porsche.