Berlin. Die großen deutschen Autohersteller suchen nach Beteiligungen im Silicon Valley. Die Richtung führt weg vom reinen Fahrzeugbau.

Dieter Zetsche neigt normalerweise nicht zu Übertreibungen. Der 63-jährige Daimler-Chef, bestbezahlter Manager im Deutschen Aktienindex Dax, ist eher für seine bodenständige Art bekannt. Doch auch Zetsche kommt nicht umhin von einem „dramatischen Wandel“ zu sprechen, der die Autobranche ergriffen habe. „Wir müssen an der Spitze der Veränderung sein, sonst werden wir verändert und haben dem nichts entgegenzusetzen“, sagt Zetsche bei der Internetkonferenz „Axel Springer Noah“ im Tempodrom. Ein Satz von Volkswagen-Chef Michael Müller lässt ebenfalls aufhorchen: „Unser Kernprodukt ist künftig zunehmend nicht mehr nur das Auto“, sagte er vergangene Woche in Berlin.

Zwei Schwergewichte der deutschen „Old Economy“, eine ähnliche Mobilitätsstrategie. Die Botschaft: Die Grenzen zwischen Autoindustrie und dem Silicon Valley verschwimmen immer mehr. Die Autokonzerne müssen sich auf eine Zukunft vorbereiten, in der nicht zwingend immer mehr Autos gekauft werden. Die Menschen wollen sich zwar bequem fortbewegen, müssen dafür aber nicht unbedingt ein eigenes Auto besitzen. Stichwort „Sharing Economy“, die Wirtschaft des Miteinander-Teilens.

„Wir können unsere Städte zurückgewinnen“

Der erfolgreichste Verbreiter dieser Idee ist US-Amerikaner Travis Kalanick, Gründer des Fahrdienstvermittlers Uber. Sein Start-up wurde in der letzten Finanzierungsrunde mit rekordverdächtigen 60 Milliarden Dollar (53 Milliarden Euro) bewertet. BMW ist derzeit 48 Milliarden Euro an der Börse wert, Daimler 64 Milliarden Euro. Kalanicks Credo: die populärste Form der Fortbewegung – das Auto – effizienter zu nutzen.

„Wenn wir alle leeren Sitze ausfüllen, können wir unsere Autobahnen leer machen und die Kosten für die Fahrgäste senken“, sagt Kalanick bei der Konferenz in Berlin. Doch damit nicht genug: „Wir können unsere Städte zurückgewinnen, wenn wir den Autoverkehr senken.“ Die Städte würden grüner, das Stadtbild nicht von sich stauenden Autos bestimmt.

Eigene Technologie für selbstfahrende Autos

Uber, das zu Beginn vor allem Privatleute mit ihrem Auto und Fahrgäste zusammengebracht hat, setzt nun mit UberPool verstärkt auf eine Software, die Fahrgäste zusammenführt, die in die gleiche Richtung wollen. Das Angebot ist in mehr als 30 Städten verfügbar, in Europa bisher in Paris und London. In Deutschland soll es – wenn Politik und Gerichte mitspielen – 2017 starten. Doch Kalanick, der für seine aggressive Expansionspolitik oft kritisiert wird, hat nicht nur das Verbessern der Welt, sondern vor allem das Fortkommen seiner Firma im Blick. Uber entwickelt wie Daimler eigene Technologien für selbstfahrende Autos, um nicht von der Technik seines Groß­investors Google abhängig zu sein.

Die Motorindustrie weiß um die Konkurrenz – und will davon profitieren. Volkswagen verkündete im Mai die Beteiligung am Uber-Rivalen Gett (Get taxi) mit 300 Millionen Dollar. Die in Israel gegründet Firma ist bislang mit etwa 50.000 Fahrzeugen in 60 Städten rund um den Globus präsent. Wie bei Uber sind die Fahrer selbstständig und werden über die Onlineplattform vermittelt. Der VW-Rivale Toyota stieg mit einem unbekannten Anteil bei Uber ein, die Opel-Mutter General Motors steckte 500 Millionen Dollar in den Uber-Konkurrenten Lyft.

„Man wird mit den Jungs zusammenarbeiten müssen“

Und der Tech-Konzern Apple, dem schon lange Ambitionen im Automarkt unterstellt werden, beteiligte sich mit einer Milliarde Dollar an der chinesischen Taxi-App Didi Chuxing, ebenfalls ein Uber-Konkurrent. BMW investiert gemeinsam mit Sixt in das Carsharing-Unternehmen DriveNow.

Was treibt die Konzerne? Ist die Beteiligung etwa von Volkswagen nur dem Abgas-Skandal und der daraus folgenden Neuorientierung im Konzern geschuldet? VW weist das zurück. Auch die anderen begründen ihr Engagement mit dem größten Systemwechsel in der Geschichte der Autoindustrie. Ford-Chef Mark Fields drückte es jüngst so aus: „Man wird mit den Jungs zusammenarbeiten müssen.“

Uber-Beteiligung ist für Daimler zu teuer

Und Daimler selbst? Mercedes Benz ist einer der größten Autolieferanten der deutschen Taxibranche und setzt gleichzeitig auf die bei Taxis ungeliebte App My taxi. Auch baut der Konzern seinen Carsharing-Dienst Car2Go aus und investiert in den Chauffeurservice Blacklane. Chef Zetsche kann sich auch eine Zusammenarbeit mit Uber vorstellen. „Wir können potenziell in manchen Bereichen kooperieren und in anderen Konkurrenten sein.“ Für einen Einstieg sei Uber allerdings zu teuer.

„Wir streben einen kontrollierenden Einfluss an und müssten dafür vielleicht 35 Milliarden Dollar lockermachen“, sagt Zetsche. Daimler sei zwar profitabel – aber das wäre zu viel. Das Start-up ist zumindest in der Bewertung bereits ent­eilt, Geld verdient es nicht. Zetsche will das Duell Alt gegen Neu nicht verloren geben: „Wir lieferten die Garage – ohne uns könnte es keine Start-ups geben.“ Künftig wird das nicht mehr reichen.