Berlin. Steuererleichterungen sollen Milchbauern unterstützen. Die Landwirte fordern jedoch eine Mengenreduzierung gegen den Preisanstieg.

Rund 8000 Paar dreckverschmierte Gummistiefel stehen am Boden vor dem Brandenburger Tor. Dazu Tausende ausgediente Zitzengummis aus Melkmaschinen. Die Utensilien stehen wie stumme Demonstranten sinnbildlich für alle jene Milchbauern, die ihre Höfe bereits aufgegeben haben oder dies noch müssen, weil der Preisverfall am Milchmarkt sie in die Insolvenz treibt. Mit den Gummistiefeln protestierten am Montag mehrere Milchverbände gegen die Politik von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Dieser hatte zur Lösung der Krise zwar Vertreter der Branche zum „Milchgipfel“ eingeladen, doch kritische Erzeuger wie den Bundesverband Deutsche Milchviehhalter (BDM) und selbst die Agrarminister der Bundesländer nicht. Letztere hatten sich bereits einstimmig dafür ausgesprochen, die Milchproduktion zu senken. „Hier wird Politik über die Köpfe der Betroffenen gemacht“, lautet der Vorwurf des BDM-Präsidenten Romuald Schaber.

Rund 500 Meter Luftlinie vom Brandenburger Tor entfernt trafen sich Vertreter von Einzelhandel, Molkereiwirtschaft und Deutschem Bauernverband (DBV) im Landwirtschaftsministerium, um 4,5 Stunden nach Wegen aus der Milchkrise zu suchen. Das Ergebnis: Alle Beteiligten des Gipfel waren sich einig, dass „strukturelle Veränderungen notwendig sind und den Bauern finanziell geholfen werden muss“, fasste Schmidt zusammen. Konkrete Hilfen blieben im Ungewissen.

Was ist das Problem?

Die Milchbauern erhalten derzeit teilweise nur 20 Cent pro Liter Milch von den Molkereien, obwohl sie mindestens 35 Cent zur Kostendeckung bräuchten. Im Handel steht der Liter bereits ab 42 Cent in den Regalen.

Warum ist die Milch so billig?

Der Markt ist international von Überkapazitäten gezeichnet. Nach dem Ende der EU-Milchquote 2015 setzten viele deutsche Bauern auf Expansion, um für den Export zu produzieren. Tatsächlich fließt die Hälfte der deutschen Milchproduktion ins Ausland. Doch das Angebot übersteigt die Nachfrage – die Preise sinken.

Was hat Putin damit zu tun?

Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit seinem Krieg gegen die Ukraine indirekt die Milchkrise ausgelöst. Mit Beginn der EU-Sanktionen gegen Russland verhängte Putin einen Importstopp für Lebensmittel aus Europa. Dieser traf die deutschen Bauern besonders, für die der russische Markt immer wichtig war. Durch die Sanktionen fiel er über Nacht weg. Das Umsatzminus beziffert der DBV auf rund ein Milliarde Euro. Weiter verschärft wird die Lage durch die konjunkturelle Schwäche in China und vielen Schwellenländern.

Was hat der Gipfel beschlossen?

Landwirtschaftsminister Schmidt will den Bauern mit mindestens 100 Millionen Euro und einem „Branchendialog Milch“ helfen. Das Geld soll der Bund bereitstellen, muss konkret aber erst noch genehmigt werden. Hinzu kommt eine Summe „X“. Über die Höhe sollen Gespräche mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), den Bundesländern und der EU geführt werden. Vorgesehen sind Existenzsicherungshilfen, Steuerentlastungen (20 Millionen Euro) und veränderte Freibeträge zur Schuldentilgung. Nachgedacht wird über Bürgschaftsprogramme und die Beihilfe zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung zu verlängern (78 Millionen Euro). Wer Land verkauft, um Schulden zu begleichen, soll Steuererleichterungen bis 150.000 Euro auf den Verkaufserlös bekommen.

Was bringen die Beschlüsse?

Einzelheiten der Beschlüsse sind noch vage. Wann Bauern erstmals Hilfen erhalten und in welcher Höhe, steht nicht fest. Dies muss noch ausgehandelt werden. Steuererleichterung bringen den meisten Milchbauern nichts, weil sie keine Gewinne ausweisen und deshalb auch keine Steuern zahlen. Der Zuschuss zur Unfallversicherung beträgt pro Bauer rund 300 bis 400 Euro im Jahr. „Diese Summe verliert ein mittelgroßer Betrieb an einem Tag“, rechnet Friedrich Ostendorff, landwirtschaftlicher Sprecher der Grünen im Bundestag, vor. Bürgschaftsprogramme dienen vor allem der Sicherung von Volksbanken, die um die Erfüllung ihrer Kredite bangen. Ob ein „Milchgipfel“ tatsächlich zu besseren Preisen führt, bleibt abzuwarten. Angesichts des harten Preiskampfes im Lebensmittelhandel gelang es den Molkereien zumindest bislang nicht, für die Bauern auskömmliche Preise durchzusetzen.

Was wollen die Bauern stattdessen?

Milchbauern und die Agrarminister der Länder wollen gezielt die Überproduktion bekämpfen, in der sie die Ursache der Krise sehen. Um die Preise zu stabilisieren, fordern sie, dass alle Milchbauern freiwillig die Mengen verringern. Nur jene Landwirte, die dabei tatsächlich mitmachen, sollen staatliche Bonuszahlungen erhalten. Das dafür nötige Geld von rund einer Milliarde Euro könnte aus einem EU-Topf finanziert werden, in den Bauern Jahrzehnte lang Strafen einzahlen mussten, weil sie zu Zeiten der festgelegten Milchquote zuviel produzierten. Höhere Milchpreise sind aus Sicht der Agrarminister der beste Weg, die Liquidität der Bauern zu verbessern.