Berlin. Ein US-Richter sieht substanzielle Fortschritte für eine umfassende Einigung. Deutsche Kläger können bisher nur in Einzelfällen hoffen.

In der Abgas-Affäre kommt VW in den USA offenbar um teure und langwierige Gerichtsverfahren herum. Der Konzern steuert auf einen Vergleich zu, wie nach einer Anhörung vor dem Bezirksgericht in San Francisco zu schließen ist. Gegen die Wolfsburger sind Sammelklagen Hunderter Autobesitzer anhängig. Zudem drohen Strafen in hoher zweistelliger Milliardenhöhe.

Richter Charles Breyer sagte, es gebe in den Verhandlungen zwischen den Anwaltskanzleien, den US-Umweltbehörden EPA und Carb sowie den zuständigen Regierungsstellen „substanzielle Fortschritte“. Ein Vergleich wird also wahrscheinlicher. „Ich bin extrem dankbar dafür“, fügte Breyer hinzu.

Jahrelang Schummelsoftware eingebaut

Jahrelang hat der VW-Konzern Dieselfahrzeuge mit einer Schummelsoftware verkauft. Diese erkennt Testsituationen und regelt den Stickoxid-Ausstoß so herunter, dass die Motoren die Grenzwerte einhalten. Im normalen Fahrbetrieb blasen die Motoren ein Vielfaches davon in die Luft. Weltweit sind elf Millionen Fahrzeuge betroffen, in den USA sind es rund 580.000. Mitte September 2015 hatten die kalifornische Umweltbehörde Carb und die US-Umweltbehörde EPA die Manipulationen öffentlich gemacht.

Alle US-Klagen gegen VW sind beim Bezirksgericht von San Francisco gebündelt: die Einzelklagen enttäuschter Autobesitzer, die von großen Kanzleien gebündelten Sammelklagen und die Milliardenklage des Staates. Zuständig ist Richter Breyer, Mitte 70, braun gebrannt, stets mit akkuratem Seitenscheitel und Fliege. Er steuert das Verfahren, setzt Termine fest. Im April einigte sich VW mit den Klägern grob auf einen Vergleich. Bis 21. Juni sollen die Behörden, Anwaltskanzleien und VW diesen im Detail ausarbeiten. Breyer muss ihm zustimmen, letztlich entscheidet er auch darüber, was der Skandal VW in den USA kostet.

Die Lösung in den USA soll im Juni vorgestellt werden

Bisher deutet sich an, dass ein Teil der manipulierten Dieselautos in den USA repariert wird. VW wird aber auch Fahrzeuge zurückkaufen müssen. Vorgesehen ist zudem ein „substanzieller Schadenersatz“ für die Autobesitzer. Und VW wird Strafe zahlen müssen. Vorgesehen ist auch, dass der Konzern in einen Umweltfonds einzahlt, mit dem die jahrelange Schädigung der Umwelt durch zu hohe Emissionen ausgeglichen werden soll. Zudem wird VW „grüne Technologien“, E-Mobilität, fördern. Einzelheiten nannte Breyer bei der Anhörung am Dienstag nicht. Er will das Komplettpaket im Juni vorstellen.

Allerdings ist der Fall für den VW-Konzern damit in den USA noch nicht ausgestanden. Der Vergleich betrifft nur Dieselmodelle mit 2,0-Liter-Motoren. Unklar ist, wie Reparatur und Strafen für etwa 85.000 Fahrzeuge (VW Touareg oder Porsche Cayenne) mit 3,0-Liter-Motoren aussehen sollen. Auch in diesen Motoren steckt eine in den USA verbotene Software. Hier liefen die Untersuchungen noch unter Hochdruck, sagte Richter Breyer. Ein Zwischenstand sei ebenfalls für Ende Juni zu erwarten.

Sammelkalgen in Deutschland so nicht möglich

In Deutschland sind Sammelklagen in der Form wie in den USA nicht möglich, auch wenn einige Großkanzleien versuchen, für betroffene Autofahrer möglichst viel aus dem VW-Konzern herauszuholen. In der Regel entscheiden Gerichte jeden Fall einzeln. Dabei sind die Urteile nicht einheitlich – etwa bei der Frage, ob ein VW-Autohaus ein Dieselfahrzeug mit Schummelsoftware zurücknehmen muss.

Das Braunschweiger Landgericht wies die entsprechende Klage eines Audi-Besitzers zurück. Er hatte von einem Braunschweiger Autohaus gefordert, seinen Audi Q3 im Rahmen der Garantie zurückzunehmen. Allerdings hatte er das Auto nicht bei dem Händler gekauft. Das Gericht wies die Klage ab, weil der Audi-Besitzer nicht das Autohaus, sondern den Hersteller hätte verklagen müssen, der die Garantie für das Fahrzeug ausgesprochen habe. Der Kläger hat noch nicht entschieden, ob er in die Berufung geht.

Gericht in Braunschweig weist Klage ab

Bereits Mitte März hatte ein Professor in Bochum einen Autohändler verklagt, der seinen VW Tiguan zurücknehmen sollte. Das Landgericht Bochum wertete die manipulierten Abgaswerte als nicht so erheblich, dass der Käufer vom Kaufvertrag zurücktreten kann. Der Professor ging in Berufung. Der Fall wurde noch nicht weiterverhandelt.

In München hingegen war ein Autobesitzer erfolgreich, zumindest in erster Instanz. Vergangene Woche entschied das Landgericht München 1 zugunsten eines Autobesitzers, der einen Seat Ibiza mit Dieselmotor und Schummelsoftware bei einem Autohaus gekauft hatte, das vollständig zum VW-Konzern gehört. Das Autohaus muss dem Urteil zufolge den Wagen zurücknehmen und die Kosten erstatten. Das Gericht begründete das mit arglistiger Täuschung des Käufers. VW habe auch nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachgebessert – den Motor also in einen ordnungsgemäßen Zustand versetzt. Allerdings handele es sich aus verschiedenen Gründen um einen Einzelfall. VW ist gegen das Urteil in Berufung gegangen.

Was der Skandal VW kostet, ist immer noch unklar

Allein beim Landgericht Braunschweig liegen weitere 46 Klagen vor, in denen Besitzer eines Modells aus dem VW-Konzern entweder die Rücknahme ihres von den Abgasmanipulationen betroffenen Autos oder Schadenersatz fordern. Nach Angaben des Gerichts richtet sich ein Teil der Klagen gegen Autohäuser. In der Mehrzahl der Verfahren sei allerdings der Hersteller VW direkt verklagt worden. Das nächste Verfahren wird am Mittwoch, 8. Juni, vor dem Landgericht verhandelt.

Unklar ist bisher immer noch, was der Skandal VW kostet. Der Konzern hat 16,2 Milliarden Euro zurückgestellt, allerdings für die gesamte Affäre, die nicht nur die USA betrifft. Dort könnte es wegen der weitgehenden Verbraucherrechte aber am teuersten werden. Nord-LB-Experte Frank Schwope schätzt die Gesamtkosten auf 20 bis 30 Milliarden Euro.