Berlin. Top-Ökonom Clemens Fuest lehnt einen Schuldenschnitt für Griechenland ab. In der Flüchtlingsfrage plädiert er für mehr Aufrichtigkeit.

Clemens Fuest trägt im Gegensatz zu seinem Vorgänger keinen charakteristischen Bart, tritt ruhig auf und ist doch eine der wichtigsten ökonomischen Stimmen im Land. Auch die Regierung schätzt seine Expertise. Der 47-Jährige hat zum 1. April die Nachfolge von Hans-Werner Sinn am Münchner Ifo-Institut angetreten.

Ist es schwer, aus dem Schatten von Sinn herauszutreten?

Clemens Fuest: Das beschäftigt mich nicht besonders. Hans-Werner Sinn ist sicher der einflussreichste deutsche Ökonom seiner Generation und er hat große Verdienste. Aber ich habe meine eigenen Themen und kann mich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen.

Ein Thema aus der Amtszeit von Herrn Sinn bleibt. Wie beurteilen Sie die Chancen auf ein weiteres Hilfsprogramm für Griechenland?

Fuest: Die Dinge, von denen im Sommer 2015 bereits abzusehen war, dass sie schiefgehen könnten, sind auch schiefgegangen. Ministerpräsident Alexis Tsipras hat sich durchgesetzt. Er setzt die Reformen nicht um und bekommt dennoch weitere Kredite. Er weiß, dass die Kreditgeber angesichts des Referendums über den Brexit keine neu aufflammende Krise in Griechenland wollen. Das Hilfsprogramm wird also weitergehen, obwohl die Auflagen nicht erfüllt sind.

In Griechenland protestieren die Bürger gegen ihre Regierung.
In Griechenland protestieren die Bürger gegen ihre Regierung. © dpa | Pantelis Saitas

Sind die Reformpläne denn ausreichend?

Fuest: Die Chancen Griechenlands auf eine wirtschaftliche Erholung würden sich jedenfalls verbessern, wenn die Reformen umgesetzt würden. Aber die Kombination aus Krediten und Reformauflagen funktioniert nur dann, wenn die Regierung die Reformen umsetzen will. Dann helfen die Auflagen beim Gewinnen von Mehrheiten im eigenen Land. Die Tsipras-Regierung hat von Anfang an klar gesagt, dass sie die Reformen als von außen aufgezwungen ansieht und sie ablehnt. Die Vorstellung, Griechenland könnte aus Brüssel regiert werden, ist naiv.

Bleibt nur der Grexit?

Fuest: Nein, wir sollten in Europa weniger predigen und weniger zahlen. Im Falle von Griechenland sollten die Gläubiger sich weniger auf die Frage nach der Höhe der Schulden konzentrieren. Sondern darauf, dass sie nicht immer mehr Geld nach Griechenland überweisen müssen. Und darauf, dass zumindest ein Teil der Zinsen von Griechenland bezahlt wird. Genau das bedeutet ein positiver Primärüberschuss. In der Eurozone ist nicht vorgesehen, dass ein Land auf Dauer von den anderen alimentiert wird.

Ist ein Schuldenschnitt die Lösung?

Fuest: Ein weiterer Schuldenschnitt wäre derzeit das falsche Signal, man würde die Reformverweigerung noch belohnen. Wir müssen bedenken, dass es noch andere Länder in Europa gibt. Portugal wird derzeit für zu hohe Defizite kritisiert. Die dortige Regierung könnte mit Recht fragen, warum sie sich an die Spielregeln halten sollte, während anderen Ländern Schulden erlassen werden, die ihre Zusagen nicht einhalten.

Was sind die Gefahren eines Brexit?

Fuest: Deutschland wäre als Exportnation stark betroffen. Großbritannien ist der drittwichtigste Handelspartner. Aber auch politisch wäre ein Brexit verheerend: Wenn die Briten gehen, verschieben sich die Gewichte in Europa. Es gibt derzeit einen Block eher wirtschaftsliberaler, freihandelsorientierter Länder, die zusammen mit Deutschland über eine Sperrminorität im europäischen Rat verfügen. Es kann also kaum eine Wirtschaftspolitik durchgesetzt werden, die deutschen Interessen zuwiderläuft. Wenn die Briten gehen, dann fällt das Gewicht dieser Gruppe unter 35 Prozent, die Schlüsselposition Deutschlands geht verloren und die Wirtschaftspolitik wird von anderen gemacht. Deutschland wird an Einfluss verlieren.

Bedeutet die Einwanderung eine Lösung für Deutschlands demografische Probleme?

Fuest: Im Herbst 2015 war der Enthusiasmus groß, viele haben behauptet, dass Fachkräftemangel und die Probleme der Sozialversicherungen gleichermaßen gelöst seien. Ich habe das von Anfang an für falsch gehalten. Deutschland ist ein stark ausgebauter Wohlfahrtsstaat. Wenn die Zuwanderer weniger verdienen als der Durchschnitt, dann erhalten sie mehr an staatlichen Leistungen, als sie durch Steuern und Abgaben finanzieren. Niedrig qualifizierte Einwanderung ist deshalb ein Minusgeschäft für die vorhandene Bevölkerung. Menschen aufzunehmen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, ist richtig, aber es handelt sich um humanitäre Hilfe, nicht um ein Geschäft.

Wie kann man die Situation verbessern?

Fuest: Zuwanderern, die Arbeit haben oder erfolgreich eine Ausbildung absolvieren, sollte man Perspektiven bieten, auch hier bleiben zu können. Bei Ausnahmen vom Mindestlohn bin ich eher skeptisch, weil das dazu führen könnte, dass Zuwanderer deutsche Arbeitskräfte ersetzen, das schafft böses Blut. Wir sollten lieber überlegen, ob es sinnvoll ist, den Mindestlohn anzuheben.

War es die richtige Idee der EZB, den 500-Euro-Schein aus dem Verkehr zu ziehen?

Fuest: Grundsätzlich halte ich es für richtig, dass man sehr große Geldscheine aus dem Verkehr zieht. Ich halte den Zeitpunkt aber für denkbar ungeeignet. Siebzehn Jahre lang hat sich die EZB nicht um das Thema gekümmert. Jetzt würde die EZB gerne die Zinsen weiter in den negativen Bereich treiben. Das wird durch die Abschaffung der großen Geldscheine erleichtert, weil die Bargeldeinlagerung für die Banken teurer wird. Zu behaupten, die Abschaffung hätte damit nichts zu tun, ist kaum glaubwürdig. Man sollte damit warten, bis die Zinsen wieder im positiven Bereich sind.

Wie beurteilen Sie die Niedrigzinspolitik der EZB?

Fuest: Dass die Sparer derzeit unter den niedrigen Zinsen leiden, kann nicht allein der EZB in die Schuhe geschoben werden. Die niedrigen Zinsen reflektieren die wirtschaftliche Situation der Eurozone, die schwache Konjunktur und die geringe Inflation. Die Geldpolitik muss daher expansiv sein. Die letzte Zinssenkung der EZB halte ich allerdings nicht für gerechtfertigt, bei diesem Schritt überwiegen meines Erachtens die Nachteile. Auch die Entscheidung, nun Unternehmensanleihen am Primärmarkt zu kaufen, ist fragwürdig. Es ist eine Einladung, Kredite an maroden Unternehmen der EZB anzudrehen. Etwas mehr Zurückhaltung täte gut.