Berlin. Wissenschaftler bemängeln Gesetzeslücken bei Messmethoden zum Ausstoß des Klimagases CO2 und erklären, wie Auto-Hersteller tricksen.

„Die Innovationskraft der deutschen Automobilindustrie ist groß, wird aber leider manchmal falsch eingesetzt“, sagt Axel Friedrich und lacht. Dann steigt der 68-jährige Chemiker hinab in den Keller seines Hauses. „Wellness“ steht unten an der Tür. Doch Friedrichs Ziel ist nicht Entspannung, er will die Tricks der Autobranche aufdecken. Dieselfahrzeuge sollen nicht nur auf dem Prüfstand weniger Schadstoffe ausstoßen, sondern auch auf der Straße, findet Friedrich. Er sei eben ein „Freund der Allergiker und Lungenkranken“, witzelt der ehemalige Leiter der Verkehrsabteilung im Umweltbundesamt.

Der Weg zu Friedrichs Kellersauna wird von zwei kastenförmigen Apparaturen mit Kabeln und Rohren blockiert. Mit diesen Geräten lässt sich ermitteln, wie viel gesundheitsschädigende Stickoxide und welche Mengen Kohlendioxid (CO2) ein Auto in die Luft pustet. Und zwar bei der Fahrt auf der Straße. Nicht, wie bei offiziellen Tests üblich, auf dem Prüfstand. Ein Geräte-Set, in Fachkreisen PEMS genannt, kostet 30.000 bis 90.000 Euro.

Reale Abgas-Werte weichen um 40 Prozent von offiziellen Werten ab

Axel Friedrich arbeitet zusammen mit den Experten des International Council of Clean Transportation (ICCT), die bereits die Stickoxid-Manipulationen bei VW aufgedeckt haben. Jetzt untersuchten die Experten die Konzentration von CO2 in den Autoabgasen. Was sie gefunden haben, ist alarmierend: Zwischen den offiziell gemeldeten und den realen Werten betrage die Abweichung bei Neufahrzeigen im Schnitt ganze 40 Prozent, erklärt Peter Mock, Geschäftsführer des ICCT in Europa.

Etwa ein Drittel dieser Abweichungen von CO2-Werten lasse sich auf das Ausnutzen von Gesetzeslücken und Schlupflöchern in Testverfahren zurückführen, sagt der Experte. Die Trickserei der Autoindustrie beginne schon bei den Vorbereitungen für die CO2-Messung. Etwa bei sogenannten Ausrollversuchen, mit denen die Fahrwiderstände von Autos gemessen werden. Ein Auto wird dabei auf 120 km/h beschleunigt und dann bis zum Stillstand rollen gelassen. Die so ermittelten Luftwiderstandsdaten werden später bei den offiziellen Tests auf dem Rollenstand im Labor als Grundlage zur Programmierung des Rollenwiderstands verwendet.

Das Problem: Die von den Herstellern durchgeführten Ausrollversuche ergäben deutlich geringere Werte, als im Alltag realistisch sei, hat das ICCT herausgefunden: Die Autobauer nutzten Gesetzeslücken bei den Ausrollversuchen. „Da werden zum Beispiel Reifen übermäßig aufgepumpt, das Profil annähernd komplett abgerieben oder Reifen im Ofen gehärtet, damit sie weniger Rollwiderstand haben“, erklärt Peter Mock. Auch leicht abschüssige Pisten, extrem glatter Asphalt, zugeklebte Kühlergrills und anderes würden benutzt. Das sei nicht illegal, aber auch nicht vorgesehen. „Diese Schlupflöcher werden voll ausgenutzt.“

Kritik an mangelnder Transparenz

Die Experten des ICCT haben für 19 Automodelle aus den Jahren 2009 bis 2012 die offiziellen Widerstandswerte mit Alltagswerten verglichen, die unabhängige Labors ermittelt hatten. In allen Fällen lag der tatsächliche Widerstand demnach weit über dem offiziellen Wert. Anders als in den USA seien die offiziellen Daten zum Fahrwiderstand in der EU aber nicht öffentlich, kritisiert der ICCT. „Neben der Schaffung von mehr Transparenz ist es wichtig, dass in der EU in Zukunft Gesetzeslücken in den Fahrzeugtestprozeduren geschlossen werden“, fordert Mock. Zudem seien regelmäßige nachträgliche Stichproben der Ausrollversuche durch Behörden notwendig.

Bis dahin wird das ICCT die Industrie weiter mit unabhängigen Messungen piesacken. Abgasexperte Axel Friedrich ist dazu bereit. Als er in den Ruhestand ging, habe sich ein Widersacher aus der Autoindustrie gefreut, „dass der endlich weg ist“, erzählt Friedrich. Ein anderer habe gewarnt, es könne nun noch unangenehmer werden, weil er dann eigene Tests durchführen könne. „Der Zweite, der kannte mich besser“, sagt Friedrich und lacht.