Frankfurt/Berlin. Eine Erhebung zeigt erstmals anhand der Werte im Dax, wie enorm das Ausmaß des „Dividendenstrippings“ deutscher Banken ist.

Ein sehr einträgliches Geschäftsmodell zu Lasten der Allgemeinheit rückt immer mehr in den Fokus der Politik. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will die als Cum-Cum-Geschäfte bekannt gewordenen Steuertricks bei der Commerzbank genauer untersuchen lassen. Schäuble sprach von einer „exzessiven Nutzung, von der wir nicht glauben, dass sie legitim ist.“ Solche Praktiken hätten nur den Zweck, die Besteuerung von Dividenden zu umgehen.

Schäuble will, dass sich die Aufsichtsräte aller betroffenen Banken damit beschäftigen. Das Thema soll auch im Aufsichtsrat der teilverstaatlichten Commerzbank angesprochen werden, an der der Bund mit rund 15 Prozent beteiligt ist, und in deren Aufsichtsrat der Staat mit zwei Vertretern sitzt.

Vor allem die Commerzbank machte mit

Über die umstrittenen Aktiengeschäfte konnten sehr vermögende Kunden aus dem Ausland Steuern auf Dividenden von deutschen Unternehmen umgehen. Die Commerzbank soll sich bei solchen Geschäften besonders hervorgetan haben. Die Bank betonte, sich an geltendes Recht gehalten zu haben.

Im Bundestag wird derzeit ein Gesetzentwurf beraten, mit dem dieses Steuerschlupfloch rückwirkend zum 1. Januar 2016 geschlossen werden soll. Berichte, wonach dem deutschen Fiskus durch solche Cum-Cum-Geschäfte ein Schaden von einer Milliarde Euro pro Jahr entstanden sein soll, konnte das Bundesfinanzministerium nicht bestätigen.

Bei Eon lockte die hohe Dividendenrendite

Handelsdaten von Aktien, jetzt analysiert vom US-Recherchenetzwerk „ProPublica“, zeigen allerdings ein sehr auffälliges Muster von großvolumigen Verleihbewegungen, ausgerechnet fast immer rund um die Dividendenstichtage. Bei 29 Aktien aus dem Deutschen Aktienindex zeigen die Daten hohe Umsatzausschläge immer dann, wenn die Dividende fällig wurde, etwa bei Eon.

Die Aktie des Energieversorgers kauften viele Anleger schon lange nicht mehr wegen des Kurses, sondern allenfalls wegen der hohen Dividendenrendite. Denn die Essener schütteten bis vor Kurzem trotz schwierigen Geschäfts so viel aus, dass die Dividende eine Verzinsung von 5,6 Prozent ergab. So auch im Jahr 2015. Die Rendite wollten die Anleger offenbar voll, ohne dass der deutsche Fiskus sie schmälere. Also wurde vor dem Dividendentermin verkauft – und kurz danach wieder zurückgekauft.

Umsatzausschläge bis zum zwanzigfachen des Normalniveaus

Welches gewaltige Ausmaß diese zur Steuervermeidung getätigten Handelsaktivitäten haben, zeigen die Daten eindrucksvoll: Die Umsätze mit Eon-Aktien schossen etwa rund um den Dividendenzahltag um das Neunfache in die Höhe – zum Beispiel im Jahr 2011. Im Jahr 2016 schwollen die Umsätze in diesen Tagen „nur“ um das Fünfeinhalbfache an.

Starke Aktivitäten gab es auch bei Siemens. Kurz bevor die Münchener Zahltag hatten, schossen die Umsätze mit dem Papier an der Börse auf das gut Zwölffache der Normalniveaus. Bei SAP ging es um das Siebenfache nach oben, bei der Deutschen Telekom gar um das Zwanzigfache. Hektisch auch die Umsatzausschläge bei Bayer und der Deutschen Bank. Bei Letzterer wird sich das Spiel dieses Jahr aber nicht wiederholen, weil die Deutsche Bank keine Dividende ausschüttet. Dass mit Börsenschwächlingen schlecht Steuern zu umgehen sind, zeigen auch die Umsatzkurven bei ThyssenKrupp, Lanxess oder Heidelberger Cement.

Wenig Schwankungen bei Familien als Großaktionären

Bei Beiersdorf, BMW, Continental, Henkel, VW, Merck oder Fresenius hielt sich die Fieberkurve rund um den Dividendentermin auch im gut kontrollierbaren Bereich. Der Grund: Hier hielten und halten „starke Hände“, Familien oder Stiftungen, große Aktienpakete. Die Porsches und Piëchs etwa bei VW, die Schaefflers bei Conti, der Henkel-Clan beim gleichnamigen Waschmittel- und Klebstoffkonzern oder Susanne Klatten aus der Quandt-Familie bei BMW.

Diese Großaktionäre geben ihre Papiere auch für ein paar steuersparende Tage nicht aus der Hand. So etwas haben die ganz Großen offenbar nicht nötig, oder es ist ihnen zu riskant. Vielleicht liegt es auch daran, dass Aktienbindungsverträge unter Familienstämmen solche kurzzeitigen Verkäufe untersagen. Oder weil Aktienbesitz quasi verpfändet ist als Sicherheit für Kredite.

„Man darf bei solchen Geschäften nicht zurückfragen“

Es wird aber auch im Aktienhandel nicht viel nachgefragt. „Wenn Sie den Auftrag bekommen, 20.000 Siemens zu verkaufen, dann fragen Sie nicht nach“, erzählt ein Händler unserer Redaktion. Und den Auftrag ablehnen? „Das ist albern“, sagt der Insider. Erstens freue man sich über den Auftrag und zweitens wisse man nicht, was der Verkäufer vorhabe. Es müsse nicht immer Dividendenstripping sein. Man dürfe bei solchen Geschäften besser gar nicht zurückfragen, erklärt ein Händler. Und was ein Kunde mit seinem Berater aushecke, kriege der Händler nicht mit.

Dass die Geschäfte nicht immer legal waren, wissen viele dennoch aus Erfahrung. Manch freier Makler auf dem Parkett war schon mal plötzlich weg. Einige hätten nach Schäubles Worten den Eindruck, es könne etwas auf sie zukommen, sagt ein Händler.